"Check Your Privilege"

(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Ich bin politisch korrekt, auch wenn das nicht mehr politisch korrekt sein sollte. Deshalb stelle ich in dieser Kolumne die Phrase "Check Your Privilege" vor.

Also: Ich fahre manchmal mit dem Fahrrad auf dem Gehsteig. Es ist ein kurzes Stück, fünfzehn Meter vielleicht, und eigentlich resultierten daraus nie größere Konflikte. Auch keine kleineren: In vier Jahren wurde ich ein einziges Mal zurechtgewiesen, und zwar von einer älteren Frau, die mir eines eh schon trüben Morgens mit dem Zeigefinger drohte. Ich finde es im Übrigen sehr beruhigend, dass es für diese Geste zumindest im Deutschen kein eigenes Wort gibt.

Wie immer, ich habe die Tatsache, dass mich die Menschen, denen ich bei meiner Übertretung der Straßenverkehrsordnung begegne, entweder ignorieren oder freundlich anlächeln, immer damit erklärt, dass ich erstens selbst freundlich lächle, zweitens im Schritttempo fahre und drittens absteige, wenn es doch eng werden sollte, was zwar keinen Sinn ergibt, weil ein geschobenes Rad mehr Platz braucht als ein gefahrenes, aber sei's drum. Ich möchte schließlich niemanden erschrecken. Und ein bisschen guten Willen zeigen. Und deshalb komme ich mit allen Verkehrsteilnehmern super aus, oder?


Welche Vorteile

Und hier kommt die Phrase „check your privilege“ ins Spiel. Sie fordert dazu auf, sich zu überlegen, wo man überall Vorteile genießt, die nichts damit zu tun haben, wie man ist (zum Beispiel freundlich, vorsichtig und einigermaßen rücksichtsvoll), sondern was man ist (zum Beispiel weiß, weiblich, Mitte 40). Warum das notwendig ist? Weil man dazu neigt, aus Bequemlichkeit alles persönlich zu nehmen – und in der Folge rechnet man sich gern als Verdienst an, was in Wirklichkeit wenigstens zum Teil auf Zufall beruht. „I check my privilege“ könnte zum Beispiel ein Mann in einem rein männlich besetzten Vorstand sagen und feststellen, dass er, ginge es mit rechten, also gleichberechtigten Dingen zu, mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit nicht dort säße. Sondern eine Frau.

Zum Beispiel ich. Wobei ich wiederum andere Privilegien genieße. So könnte ich mir, um mit etwas Einfachem anzufangen, die Frage stellen, wie jener eher grimmig aussehende Mann mit dem Salz-und-Pfeffer-Bart, dem ich am Morgen häufiger begegne, auf eine schwarzhaarige, dunkelhäutige Jugendliche reagieren würde, die so wie ich einfach so den Gehsteig zweckentfremdet. Sie würde wohl nicht so glimpflich davonkommen. So langsam könnte sie gar nicht fahren, so sehr könnte sie gar nicht grinsen, sie würde vermutlich keine einzige Fahrt ohne einen drohend wachelnden Zeigefinger überstehen. Und hier geht es noch gar nicht drum, welche Chancen ihr das Leben sonst noch so bieten wird.

Hier geht es nur um 15 Meter Asphalt.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.