Ein verwaistes Büro

Und dann sind die Schreibtische leer, im Eck hängt ein vergessener Schal und im Kühlschrank stockt der letzte Liter Milch. Über ein verwaistes Büro.

Das Erste, was mir auffiel, waren die Pflanzen. Dabei sind mir Pflanzen normalerweise gleichgültig. Aber die hier dauerten mich: ein Efeu, dessen vertrocknete Blätter sich an einer Schranktür entlangrankten, die schon länger keiner mehr geöffnet hat. Ein halbhoher Ficus, dieses unverwüstliche Gewächs, nun doch und endgültig verwüstet. Ein braun-beiger Gummibaum. Die gingen, haben sie zurückgelassen, verwaiste Pflanzen in einem verwaisten Büro. Dort, wo man das Klingeln der Telefone hörte, das Klackern der Fingerkuppen auf den Tasten, wo vielleicht ein Radio lief und im Sommer die Klimaanlage leise vor sich hinsurrte, ist alles ruhig.

So ein Büro ist ja nicht nur ein Arbeitsplatz, da leben wir auch. Da bröseln wir Salzstangerln in die Tastaturen und verschütten Cola, da versammeln wir uns laut schimpfend rund um funktionsuntüchtige Drucker. Wir suchen Teekannen (die mit dem grünen Rand) und Verständnis, schließen Freundschaften, Feindschaften, Liebschaften, kennen noch den kleinsten Tick des Kollegen und wissen, was kommt, wenn er „So!“ sagt. Ich denke an meinen Schreibtisch, auf dem sich Bücher und Blocks, Briefe und Zeitungen türmen, dazwischen angekaute Kulis, ein Lippenstift, Mozartkugeln für zwischendurch und die Seifenblasen, die mir mein Mann geschenkt hat. An der Pinnwand: Fotos unserer Töchter, da sind sie noch richtige Kinder mit vollen Wangen und weichem Blick.

Strohherz. Und hier? In diesem verwaisten Büro? Was hier wohl alles stand, auf diesem leeren Tisch am Fenster? Was da wohl hing, an der Wand neben der Türe? Abgeräumt, ausgemustert. Ein paar persönliche Dinge sind zurückgeblieben, eigentlich gar nicht so wenige, wenn man näher hinschaut: ein rostroter Schal. Eine graue Kapuzenjacke über einer Sessellehne. In der offenen Schublade ein Strohherz und ein Engel aus gefaltetem Papier. Marker, Hefter, ein Schlüsselanhänger. Auf einem Aktenschrank ist ein Pirelli-Kalender aufgeschlagen, er zeigt die blondgelockte März-Dame, angetan mit schwarzem BH und glitzernden Strümpfen. Im Kühlschrank noch ein Liter Milch, vermutlich längst gestockt, ein Stück eingetrockneter Käse, eine noch fast volle Flasche mit Dressing. Wer hat sich wohl den Spruch „Alkohol. Weil keine gute Geschichte mit Salat beginnt“ an die Wand gepinnt? Und was hat es mit dieser gerahmten Collage auf sich? Dutzende Fotos, darunter viele junge Gesichter, die trotzdem alt wirken, weil die Dauerwellen und Schnurrbärte so deutlich aus den Siebzigerjahren stammen. Irgendwer wollte oder sollte sich an irgendjemanden erinnern.

In der grünen Plastikgießkanne auf dem Fensterbrett steht noch Wasser.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

(Print-Ausgabe, 04.12.2016)

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