Keine gute Schülerin

Konzentrierte Schülerin
Konzentrierte Schülerin(c) Clemens Fabry
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Heute widme ich meine Kolumne zum Semesterende all jenen Schülern, die ihre Eltern zur Verzweiflung treiben, weil sie nichts lernen. Ich weiß, wie es euch geht.

Da stand sie in der Türe, meine Mutter, bleich vor Schreck. Und ich stand vor ihr, womöglich noch bleicher. Sie kam gerade vom Elternsprechtag und wusste nun, dass ich in den letzten Wochen, ja Monaten einen Fünfer nach dem anderen geschrieben hatte. Dass ich die Hefte nicht führte. Keine Hausaufgaben brachte. Dass ich die eine oder andere Stunde geschwänzt hatte und so das Jahr unmöglich schaffen würde.

Ich versprach meiner Mutter, zu lernen. Wirklich, Mama! Ich versprach meiner Mutter, die Hausaufgaben zu machen, ganz ehrlich. Ich weiß heute nicht einmal, ob ich das damals wirklich so meinte, ob ich mir auch selbst etwas vormachte oder nur meinen Eltern. Aber die Wahrheit ist: Ich wusste gar nicht, wie ich hätte lernen sollen. Ich hatte nicht die Energie für Hausaufgaben. Woher sollte ich sie nehmen? Stattdessen saß ich den lieben langen Tag auf meinem Zimmer, las und hörte Musik. Ich wäre sooo gern eine gute Schülerin gewesen. Eine brave Tochter. Aber noch wichtiger war mir meine Ruhe. Die Ruhe, für sie hätte ich fast alles getan. Unter anderem habe ich gelogen: Schularbeiten wurden angeblich von Woche zu Woche verschoben, und wenn sie dann doch endlich stattgefunden hatten, brauchten die Lehrer Monate, um sie zu korrigieren. Nein, Mama, es ist alles in Ordnung. Nein, ich hab' Englisch nicht zurückbekommen.


Lügerei. Meine Mutter hat mir gesagt, das habe sie am meisten gekränkt, diese dauernden Lügen, und ich sehe auch ein, dass es blöd war. Was erkaufte ich mir durch meine Schwindeleien? Ein, zwei, drei Wochen Aufschub. Ein schlechtes Gewissen habe ich aber immer noch nicht: Die Lüge ist manchmal die einzige Waffe des Pubertierenden gegen die Zumutungen der Welt im Allgemeinen und die der Eltern im Besonderen. Man sollte ihm nicht vorwerfen, dass er sie verwendet.

Was meine Mutter anders hätte machen können? Nichts und alles. Was ich hätte anders machen sollen? Alles und nichts. Es gibt wohl kein Rezept, vielleicht kann man nur abwarten, am Morgen gemeinsam frühstücken, am Wochenende Eislaufen gehen, gemeinsam einen Film anschauen und dabei nicht über Noten reden. Und dann eben doch wieder über die Noten reden und darüber, was werden soll. Vielleicht kann man als Mama oder Papa weiter nerven, weil das eben unsere Aufgabe ist, und als Kind weiter seine Ruhe haben wollen, weil es gerade nicht anders kann, vielleicht darf man einfach nicht verzweifeln, auch wenn das schwer ist, sich mögen und hoffen, dass alles irgendwie gut ausgeht.

Ich weiß zwar immer noch nicht wie: Aber bei mir hat das geklappt.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2017)

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