Am Herd

Begegnungen im Gemeindebau

Wiener Gemeindebau
Wiener Gemeindebau(c) Clemens Fabry
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„Früher sind mehr Leut' da gesessen. Aber die Alten sind alle weggestorben und die Jungen, die haben keine Zeit.“.

Ein Hof. Ein Hof mit Bänken und Sträuchern, die gerade gelb blühen. Ein Hof mit Fahrradständern und Fahrrädern, mit Mülltonnen und Müll, Blumenkisten und einem grünen Plastikcontainer fürs Streusalz. Und mit Balkonen. Balkone verraten eine Menge: Bei manchen stehen die Türen offen, und der Mittagswind bläht die Vorhänge. Auf einem steht ein Kinderstühlchen, drauf sitzt eine Babypuppe. Einige sind mit einem Netz vor Tauben geschützt. Wie praktisch. Wie hässlich. So hässlich und praktisch wie die Gummistiefel, die jemand vor die Tür gestellt hat. Niemand hängt Wäsche zum Trocknen auf. Ich sollte vermutlich nicht hier sein. Ich bin ein Eindringling, eine Fremde, die der Hausmeister mustert, als er seinen Karren vorbeischiebt. Aber im nahen Park sind alle Bänke besetzt, und auch so wäre es mir dort zu laut, inmitten der Halbwüchsigen, die in Trauben beisammenstehen, und den Angestellten, die bei chinesischem Fast Food von ihren Plänen für Ostern erzählen. Hier im Hof des Gemeindebaus ist es leise. Nur aus dem Fenster im Erdgeschoß dringt ein Lied, jemand hat das Radio aufgedreht: „Mit dem Herz in der Hand und der Leidenschaft am Bein/Werden wir Weltmeister sein“. Was mag das für ein Sender sein?

Zigarettenpause. Ich nehme Platz im Halbschatten. Ein Bub kommt von der Schule nach Hause, die Bücher und Hefte hat er unter den Arm geklemmt, als ihm niemand aufmacht, balanciert er sie auf seinem linken Knie und kramt in der viel zu weiten Hose nach einem Schlüssel. Eine alte Frau mit dicken Knöcheln und einem schütteren weißen Pferdeschwanz ächzt und wuchtet die Einkäufe auf die Bank neben mir. Vorsichtig legt sie einen Strauß Tulpen auf die vollen Sackerln. Sie zündet sich eine Zigarette an und nickt mir zu. „Früher“, sagt sie, „sind mehr Leute da gesessen. Aber die sind alle weggestorben. Und die Jungen haben keine Zeit mehr.“ Dann erzählt sie mir, dass sie im Herbst 86 wird, dass sie hier die meisten kennt, seit sie Babys waren, und dass ihre Enkelin gerade den Turnus macht. Vor Kurzem ist sie mit ihrem Mann, einem Richter, in eine Dachgeschoßwohnung gezogen. „15 Fenster! Also mir reichen drei zum Putzen!“ Als ich gehe, komme ich an einem Lokal namens Bier Pub vorbei. In der Auslage hängen Lichterketten. Die Plastiksessel und Tische vor dem Lokal sind leer, wer jetzt zu Mittag einen, zwei, drei rote Spritzer trinken will, zieht das Dämmerlicht vor. Eine Frau tritt vors Pub, sie schüttelt ihre blonden Locken. Ihr Mops trägt ein Halsband mit Nieten, sie selbst trägt Leggins im gleichen Look. Morgen komme ich hier wieder vorbei.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2017)

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