Am Herd

Schlechte Vorbilder

Menschen an einer Fußgängerampel
Menschen an einer Fußgängerampel(c) imago stock&people
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Ich bin ein schlechtes Vorbild. Ist aber egal. Mein Mann ist ein noch schlechteres und der Meinung, deshalb seien die Kinder so vernünftig.

Marlene schimpft mich. Das macht sie neuerdings häufiger. „Hallo, Mama, hier bin ich“, ruft sie, und meint damit, ich soll meinen Blick gefälligst vom Handy nehmen und ihr in die Augen schauen. „Und was habe ich jetzt gerade gesagt?“, fragt sie – und schon wieder hat sie mich ertappt: Ich habe nicht richtig zugehört, irgendwas mit Formular und Montag, aber da kam gerade eine Antwort auf einen Tweet herein, urwichtig, na ja, vielleicht ohne ur, vielleicht sogar ohne wichtig. Eine Antwort halt.

Schwarzfahren.
Ich bin also ein schlechtes Vorbild, aber vielleicht ist das egal. Mein Mann hat da nämlich eine These aufgestellt: Die Kinder, behauptet er, seien nur deshalb so vernünftig, weil er so unvernünftig sei. Hat er nicht bei Hannahs erstem Schultag vor Eltern und Kindern und auch einigen Lehrern erklärt, er habe die Schule immer schon gehasst? Heute ist Hannah 17 und hat noch nie geschwänzt! Und ob ich mich erinnern könne, wie die beiden im Restaurant mit dem Ketchup gepatzt und den Apfelsaft verschüttet hätten? Er habe dann Furzgeräusche gemacht. Und als sie die Pommes mit den Händen essen wollten, gleich noch einmal. Seither benehmen sie sich in der Öffentlichkeit tadellos.

Dann ist er auch noch schwarzgefahren mit den Kindern, bis sie mit knapper Not und sehr viel Glück einem Kontrollor entkommen sind, Marlene hat getobt, urpeinlich sei das, nie, nie wieder steige sie mit ihm in die U-Bahn, wenn er ihr nicht vorher den entwerteten Fahrschein zeige . . . Und jetzt? Hält sie sich penibel an die Jugendschutzbestimmungen, und wenn man ihr sagt, sie muss um zehn Uhr zu Hause sein, dann ist sie um fünf vor zehn zu Hause.


Die Gene? Hm. Ich weiß nicht recht. Einerseits ist die Vorstellung ja durchaus reizvoll, so ganz ohne schlechtes Gewissen 24/7 online sein zu können, aber andererseits: Andererseits habe ich zur Erziehung schon auch etwas beigetragen. Ich habe eine Jahreskarte! Seit ich 18 bin! Ich bin so vernünftig, dass es mir selbst schon manchmal zu viel wird. Soll das denn gar nichts zählen?

Beim Abendessen diskutieren wir weiter. Wie wichtig ist das Vorbild, wie wichtig ist Erziehung, und was ist eigentlich mit den Genen? Kann man das Wesen seines Nachwuchses wirklich beeinflussen? „Super“, sagt Hannah: „Das bedeutet doch, ich kann mich aufführen, wie ich will. Eure Gene, eure Erziehung, euer Vorbild, ihr seid in jedem Fall schuld.“ Dann geht sie triumphierend ab.

Die Kinder haben übrigens ein Handy-Verbot beim Essen durchgesetzt. Und Stephan löst jetzt immer einen Fahrschein.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2017)

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