Am Herd

Sonnenflecken

Blühender Bärlauch
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So üppig, so verschwenderisch, so vielfältig grün, so lindgrün und smaragdgrün und grasgrün und farngrün, und am Boden tanzen die Sonnenflecken.

So. Jetzt aber endgültig. Zweimal habe ich sie ganz nach hinten in den Schrank verräumt, die Pullis und die schweren Stiefel und die wollenen Röcke, zweimal habe ich sie leise fluchend wieder hervorgekramt, noch einmal und noch ein letztes Mal ist der Frost gekommen, aber damit ist jetzt Schluss: Zeit für leichte Kleider und Riemchensandalen, Zeit für Sonnenbrille und für den Friseur, ab die alten Zöpfe, her ein Schnitt, der den Nacken freilässt. Frei für den Wind. Und dann raus.

So prachtvoll ist die Natur im Mai, so großzügig und voller Versprechen. Klar, auch der März ist schön, wenn die ersten Knospen sich versuchen, wenn der Frühling noch so verletzlich ist, so gefährdet. Und ich liebe den April. In der Wachau blühen die Marillen, und am Samstag sitze ich im Café und lasse mir die Mittagssonne auf die Nase scheinen. Aber der Mai ist etwas Besonderes. Die Bäume, sie könnten schier zusammenbrechen ob der Last der Blätter. So üppig, so verschwenderisch, so vielfältig grün, so lindgrün und smaragdgrün und grasgrün und farngrün, und am Boden tanzen die Sonnenflecken. Der Mai ist stark und verlässlich, man kann ihm vertrauen: Jetzt ist es sogar im Schatten warm.

„Komm, lieber Mai“. Wonach klingt der Mai? Nicht nach Frühlingsliedern, sie feiern alle das Werden und nicht das Sein, den baldigen Abschied des Winters und nicht die Helligkeit, die Wärme, den Jubel, sogar dann, wenn sie den Mai besingen: „Blüht ein Blümlein, blüht ein Blümlein, blüht im Märzenwald/kommt der helle, der helle Frühling, kommt der Frühling bald“. „Komm lieber Mai und mache/die Bäume wieder grün.“ Was soll das für ein Mai sein? Nein, der Mai klingt nach Autoradios und Rasenmähern und dem Plätschern der Brunnen, nach dem Gelächter der Teenager im Hof und nach Fröschen, die nach ihren Fröschinnen quaken. Oder sind es Kröteriche und Kröten? So sehr mir ihr Konzert gefällt – ich habe keine Ahnung.

Und ich weiß auch nicht, wie dieser Strauch heißt, unter dessen Blüten ich damals, mit 14, den ersten Kuss bekommen habe. „Weiß blühendes Lieschen“, sagt ein Freund, in dessen Garten so ein Strauch steht: „Das ist ein weiß blühendes Lieschen!“ Er sagt es voller Überzeugung, aber es stimmt nicht, es ist nur ausgedacht. Er lacht. Ich lache mit, der Name passt nämlich: Das war so zart und voller Sehnsucht, und genau genommen war es nur ein Bussi. Für mich aber: der erste Kuss. So riecht also der Mai. Nach dem weiß blühenden Lieschen. Nach dem Rauch vom Grill des Nachbarn. Noch ein bisschen nach Bärlauch und schon ein bisschen nach Sonnencreme. Morgen gehen wir schwimmen.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2017)

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