Am Herd

Höflich virtuell

Symbolbild.
Symbolbild. (c) imago/Westend61 (imago stock&people)
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Das war mir natürlich noch in der gleichen Sekunde peinlich, ich bin schließlich aus dem Alter, in dem man junge Leute einfach duzt, schon längst raus.

Neulich habe ich eine junge Frau geduzt. Im Flugzeug. Sie war Anfang 20, also unwidersprochen erwachsen, sie trug Sneakers, Leiberl, Skinny Jeans, die Jugendlichenkluft der 10er-Jahre halt, sie whatsappte vor dem Start eifrig mit ihren Freunden, checkte zwischendurch ihre Twitter-Timeline, und als wir dann in Richtung Rollbahn fuhren, ging sie dazu über, irgendein Handygame zu spielen, in dem permanent etwas explodierte. Laut. Zu laut. Jedenfalls für mich. Und so geschah es. Ich wandte mich ihr zu und sagte: „Könntest du bitte Kopfhörer nehmen?“

Das war mir natürlich in derselben Sekunde peinlich, ich bin aus dem Alter, in dem man junge Leute duzt, schon längst raus. Das geht nämlich nur bis circa Mitte, Ende zwanzig, solange man halt selbst noch als einigermaßen jugendlich durchgeht. Ab dann wird man asymmetrisch zurückgesiezt, was man am besten übersetzt mit: „Ihr Verhalten ist erstens respektlos. Und zweitens: Sie sind alt. Auch wenn Sie Sneakers tragen.“ Das tut man sich natürlich nicht häufiger an.


Virtuelle Kekse. Dass ich Mitte zwanzig war, ist schon eine Zeit lang her, ich habe also im Vermeiden solcher Situationen einige Routine. Wieso mir das trotzdem passiert ist? Ich habe hin- und herüberlegt, manche These geprüft, die meisten verworfen und bin zu dem Schluss gekommen: Hannah ist schuld. Sie ist nämlich mittlerweile 18. Aber sie ist nicht nur 18, sie ist außerdem jemand, der die nassen Handtücher im Bett liegen lässt. Und mich fragt, ob sie zehn Euro fürs Kino haben kann. Und der auf dem Nintendo virtuelle Hunde mit virtuellen Keksen füttert, damit sie auf den Befehl „Banküberfall“ hin die niedlichen Pfoten heben. Und der ganze 18 Jahre lang mein Kind war. Da ist man nicht plötzlich erwachsen, nur weil man erwachsen ist.

Was mich daran erinnert, wie riesig und gefährlich dieses Klettergerüst im Beserlpark ums Eck war und wie halsbrecherisch hoch die Rutsche. Und jetzt . . .? Haben die in der Zwischenzeit die Geräte geschrumpft?


Sorry. Aber zurück zur jungen Frau im Flugzeug. Sie reagierte gar nicht irritiert, jedenfalls ließ sie sich nichts anmerken. Sie sagte: „Sorry, ich habe das gar nicht gemerkt“, und stellte das Handy umgehend auf lautlos. Wir haben uns dann noch unterhalten, über Flugzeuge und Klimaanlagen und darüber, warum Twitter besser ist als Facebook, und die ganze Zeit über hat sie es peinlich vermieden, mich zu duzen. Oder zu siezen. Oder mich sonst wie in Verlegenheit zu bringen. Die Jugend von heute kann ausgesprochen rücksichtsvoll sein.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2017)

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