Am Herd

Marlenes Kleiderschrank

Leerer Kleiderschrank
Leerer Kleiderschrank(c) Clemens Fabry
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Was ich in Marlenes Kleiderschrank alles finde: riesige Pullover, Hosen unbekannter Herkunft und dazwischen natürlich auch meine neue Jacke.

Angefangen hat es ja mit Socken. Schwarzen Socken. Die nicht waren, wo sie sein sollten, in meiner Kommode nämlich, weil sie gelandet sind, wo sie nicht hingehören: an den Füßen von Marlene. Und unter ihrem Sofa. Das ist zwei, drei Jahre her, schon damals hatte sie Schuhgröße 39 – wie ich. Mittlerweile ist sie auf dem besten Wege, mich auch längenmäßig einzuholen, was bedeutet, dass sie nicht nur Socken mopst: „Die schaut ursüß aus“, sagt sie etwa über meine neue Pyjamahose. Kurze Zeit später sitzt sie an ihren Hüften: „Hab ich in meinem Kleiderschrank gefunden. Keine Ahnung, wie sie dorthin gekommen ist.“ Die schwarze Jacke hat sie sowieso okkupiert, sie hat nämlich festgestellt, dass sie ihr viel besser steht als mir, wogegen Marlene die Enteignung des schwarz-weiß karierten Schals damit begründet, dass sie vermutlich krank wird: „Und der ist so kuschelig!“

Was die weinrote Strumpfhose betrifft, hört sich aber der Spaß auf. Die brauche ich wirklich.


Gemeingut. Es sollte mich nicht erstaunen. Kleidungsstücke waren für Marlene schon seit jeher so etwas wie Gemeingut. Im Kindergarten hat sie etwa mit ihrer Freundin Becci Jacken getauscht. Und Schuhe. Und zwar immer nur einen. Sie stand dann da mit einem rot-glitzrigen Sneaker links und einem blauen Halbschuh samt Schmetterlingsverzierung rechts und fand das sehr hip. In der Volksschule kam sie von jeder Übernachtungsparty mit ein, zwei Teilen zurück, die ich nicht kannte. „Das gehört dem Gregor, aber es ist ihm zu klein“, sagte sie. „Hab ich von der Schwester von der Lena.“ Und diese Pluderhose? Musste sie sich ausborgen. Ihr war zu kalt.

Seit dem Gymnasium sind auch wir, ihre Familie, betroffen. Zuerst Hannah, allerdings war von der nicht sehr viel zu holen, Hannah findet ja, vier langärmlige Leiberln und zwei Hosen reichen, um durch den Winter zu kommen. Dann kam mein Mann dran. Das war schon ergiebiger, er hat nämlich einen ganzen Schrank voller XL-Pullis aus den Neunzigerjahren, die so abgetragen sind, dass sie schon wieder chic wirken: Marlene trug sie eine Zeit lang als Kleider.

Ich hatte noch am längsten Ruhe und sollte mich nicht beklagen, vor allem, weil Marlene neulich für zwei Euro auf dem Flohmarkt eine Marken-Jeans-Jacke erstanden hat, die mir wirklich, ehrlich, Hand aufs Herz, viel besser steht. Hat auch ihre Freundin gesagt.

Sie hängt jetzt in meinem Kleiderschrank. Wenn sie will, kann sie sie ja ausborgen.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2017)

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