Am Herd

Wir müssen unsere Kinder schützen

Und sagt nicht, dafür fehlen die Mittel. Das hier ist ein Notfall, schlimmer als die Hypo, größer als die Bankenkrise.

Mir ist egal, wer hier was versäumt hat. Egal, wer welchen Fehler gemacht hat. Die Politik. Die Familie. Die Lehrer. Die Community. Darüber kann man lang streiten, und das tut man gemeinhin auch, hierhin und dorthin wird die Schuld verschoben, am Ende fühlt sich nur jeder bestätigt: Da kann doch ich nix dafür. Hätten die doch. Oder die. Und dann legen wir uns schlafen, und wir schlafen nicht schlecht.

Ich bin mir auch nicht sicher, ob wir es hätten verhindern können, zu ungeheuerlich ist, was passiert ist: Ein 16-Jähriger hat eine Siebenjährige erstochen. Sieben! So alt wie meine Nichte. Sechzehn! So alt wie meine Tochter, die manchmal Kummer mit der Liebe hat, sich gerade über eine schlechte Bio-Note ärgert und sonst herumtänzelt in einer Welt, von der sie glaubt, sie sei für sie geschaffen.


Gewalt im Alltag. Kann sein, es wäre in jedem Fall geschehen, weil es das Böse gibt, so oder so. Aber sicher ist: Wir müssen unsere Kinder schützen, und das tun wir zu wenig. Wir kümmern uns nicht genug um sie. Zu viele gibt es, für die Gewalt zum Alltag gehört – oder gehört hat, unter Bomben, im Krieg, und wir glauben, sie sind ja noch jung, sie vergessen schnell, aber wir irren uns. Zu viele sind es, die in einer Enge leben, von der wir glaubten, wir hätten sie längst überwunden wie den Muff von 1000 Jahren, wie den Lehrer, der seinen Schüler schlägt, wie die Angst vor dem allmächtigen Vater. Jetzt kehrt es wieder, dieses „Ein Mädchen muss. Ein Bub darf nicht. Der Vater kann. Und wehe!“.

Kinder wachsen auf und sind in gar keiner Sprache richtig heimisch. Aber sie müssen reden können! Da geht es nicht nur um Integration, um Teilhabe, um Bildung. Da geht es um ein Ich, das sich findet und artikuliert.


Perspektiven. Wir können sagen: Das ist die Angelegenheit der Eltern, soll doch der Vater dieses machen, soll doch die Mutter jenes tun, aber manchmal sind sie dazu nicht imstande. Welche Gründe es dafür auch geben mag – nie kann das Kind etwas dafür! Deshalb müssen wir Verantwortung übernehmen, müssen einspringen, wir sind ja erwachsen. Mit öffentlichen Kindergärten, die gratis sind und in denen so viele Pädagogen arbeiten, dass sie auf jeden ihrer Schützlinge achten können. Mit Schulen, in denen Lehrer ihre Arbeit tun können, mithilfe von Sozialarbeitern und Psychologen, sie haben uns so oft erklärt, was nötig wäre. Mit einem wissenschaftlich fundierten Konzept der Deutschförderung. Mit kostenlosem Mittagessen. Mit ausreichend Plätzen in der Kinderpsychiatrie. Mit Perspektiven. Offenheit. Und, und, und.

Wenn uns das zu teuer ist, ist uns und den Kindern nicht zu helfen.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2018)

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