Die irreführenden Argumente des Professor Jörg Aurich

Traurig, dass die körperliche Integrität ihrer Klienten nicht immer einen hohen Wert für manche Mediziner darzustellen scheint.

Der Weg zur Hölle ist bekanntlich mit guten Vorsätzen gepflastert. So wollte ich es mit meinen beiden Beiträgen (21.8. und 4.9.) zu den Dilemmata der Tierärzte zwischen Ethos und schnödem Mammon, insbesondere zum Unfug der Frühkastration von Hunden, gut sein lassen – obwohl mich darob einige Vertreter dieser Zunft einen fachlich inkompetenten Hund schimpften. Nun aber kam Prof. Jörg Aurich von der Veterinärmedizinischen Uni in seiner Replik („Presse“ vom 19.9.) mit recht seriösem Anschein daher. Und weg war mein guter Vorsatz.

Aurichs Stellungnahme zeigt, dass die Wahrheit in der (angewandten) Wissenschaft auch und vor allem eine Tochter des Standpunkts und der eigenen Interessen ist. Noch einmal wiederholt Kollege Aurich Argumente pro Kastration, etwa das Unterbinden von Vermehrung. Das kann aber heute bei Hunden durch das wesentlich gelindere Mittel der Vasektomie bzw. der halbseitigen Ovarektomie bewerkstelligt werden, was er unerwähnt lässt.

Selbstverständlich bin ich gegen Kastration nur dann, wenn dieser Eingriff nicht indiziert oder sogar kontraindiziert durchgeführt wird, zumal diese chirurgisch einfache Operation eine schwere Beeinträchtigung der hormonalen Integrität des Individuums verursacht. Dass Letzteres zwar von mir als Verhaltensbiologe so gesehen wird, nicht aber von den meisten Veterinärmedizinern, stimmt nachdenklich, sollten diese doch Bannerträger des Tierschutzes sein; und dazu gehören eben auch das individuelle Tierrecht auf Unversehrtheit. Ganz zu schweigen vom ethischen Problem, ein Tier mittels Skalpells an das Zusammenleben mit Menschen anpassen zu wollen.

Wenn Kollege Aurich außerdem meint, dass die von mir wegen ihrer gut belegbaren gesundheitlichen Folgeschäden kritisierte Frühkastration (vor dem Ausreifen der Systeme, im Alter von frühestens 18 Monaten) in Europa ohnehin kaum praktiziert würde, widerspricht das den Erfahrungen von Hundebesitzern mit nicht wenigen Tierärzten, die Frühkastration wider besseren Wissens empfehlen.

Wie Kollege Aurich behaupten kann, ich hätte „gegen die Universität für Veterinärmedizin argumentiert“, weiß ich nicht. Handelt es sich denn bei dieser um eine Art Vatikan mit entsprechenden Dogmen? Tatsächlich habe ich mich vehement gegen schlecht indizierte Kastrationen aus Tradition oder geschäftlichen Interessen heraus gewandt.

Dabei bleibe ich auch, denn: Erstens stellt die Kastration immer einen schwerwiegenden Eingriff in den Hormonhaushalt von Individuen dar und damit auch in ihre Verhaltens- und Persönlichkeitsentwicklung. Zweitens: Die Kastration zur Verhinderung der Vermehrung beim Hund ist nicht im Sinne des Tierschutzes, weil dafür gelindere Mittel zur Verfügung stehen. Drittens: Viele Untersuchungen belegen, dass Frühkastration mit erheblichen Gesundheitsrisken verbunden ist. Kastration von Hunden sollte ein gut indizierter Ausnahmeeingriff bleiben.

Traurig, dass die körperliche Integrität ihrer Klienten nicht immer einen hohen Wert für manche Mediziner darzustellen scheint. Das merkt man ja auch beispielsweise an den exorbitant hohen Kaiserschnittraten bei menschlichen Geburten. Ein wenig umdenken tät generell nicht schaden.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2012)

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