Auch bei uns: Kastenbildung und Südamerikanisierung

Bildungsdefizite verursachen immer tiefere Risse in unseren Gesellschaften. Das kann die Demokratie ernsthaft gefährden.

Eine neue Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach bestätigt: Ohne Bildung und Wissenschaft gibt es keine Demokratie, die diesen Namen verdient. Die verzögerten Reformen, insbesondere in der Bildung, gepaart mit einem Aushungern von Universitäten und Grundlagenforschung bedingen das Zurückfallen Österreichs als Standort, was sich erschütternd klar im jüngsten „Index regionaler Konkurrenzfähigkeit“ der EU-Kommission zeigte. Das Bildungsdefizit schädigt mittelfristig aber auch die Gesellschaft. So entlassen die heimischen Grundschulen mittlerweile bis zu 20Prozent Analphabeten, viel zu viele brechen ohne Abschluss ab. Das ist eine ernste Gefahr für die Demokratie.

Die Allensbacher ermittelten, dass sich vor allem einkommensschwache und bildungsferne Schichten von der aktiven Teilhabe am politischen Prozess verabschiedet haben – weniger aus Frust oder Protest, sondern aus Gleichgültigkeit. Je größer das politische Desinteresse im Freundeskreis, desto weniger geht man wählen. So sagten 68Prozent aus der Oberschicht, bei der Bundestagswahl in jedem Fall zu wählen; in der Unterschicht hingegen waren es nur 31Prozent. „Wir erleben eine zunehmend sozial gespaltene Demokratie“, interpretierte Auftraggeber Bertelsmann. Das trifft mit Sicherheit auch auf Österreich zu.

Die Gesellschaften spalten sich in eine dünne Oberschicht, die lange lebt und bestimmt, wo es langgeht, in eine zunehmend schwächelnde Mittelschicht, die zahlt und kuscht, und in eine Unterschicht, die sich zunehmend in ihre Subkulturen verabschiedet. Letztere gibt ihre geringen Einkommen werbekonform und wirtschaftsdienlich aus, stirbt früh – rauchend und fettleibig. Wir erleben Kastenbildung und Südamerikanisierung: Die Oberschicht bestimmt die Politik durch Wahlen, Geld, Lobbying und Netzwerke.

Die von allen Entscheidungen ausgeschlossene Unterschicht will dagegen gar nicht mehr mitreden, so die Allensbacher Studie, weil sie nie gelernt hat, warum sie sich für Politik interessieren sollte. So nähern sich über Präkarisierung und versagende Bildungssysteme unsere mitteleuropäisch-skandinavischen „Volldemokratien“, mit bisher hoher Wahlbeteiligung und einer alle sozioökonomische Schichten durchdringenden Zivilgesellschaft, den „Partialdemokratien“ wie in den USA oder in manchen osteuropäischen Ländern, mit dünnen, reichen Oberschichten und breiten, armen Unterschichten – gesellschaftlich allenfalls noch bedeutend als unkritische Konsumenten. Junge Unterschichten desozialisieren als Wähler nicht wegen der politischen Inhalte, sondern weil sie sich sozial nicht in der Politik vertreten finden.

Die wenigstens Politiker sind gottlob Dumm-Rapp-lauschende, arbeitslose Schulabbrecher. An die Urnen bekommt man diese oft faschistoid-autoritär und sexistisch ausgerichteten Jugendlichen daher allenfalls über großmäulige Demagogen. Besser aber wäre über eine kohäsive Gesellschaft, der es nicht egal ist, wenn Unsummen in Bankenrettungen investiert, gleichzeitig aber über ein schon im Kindergarten unzulängliches Bildungssystem über 20 Prozent „Ausschuss“ produziert werden. Jährlich verlassen 20.000 bestens ausgebildete junge Leute Österreich, weil die Arbeitsbedingungen in Medizin und Forschung schlecht sind. Ist allen klar, was das gerade auch für unsere Demokratie bedeutet?

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2013)

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