Dick - na und?

Es besteht die Möglichkeit, dass dicke Kinder als Gruppe nicht nur aufgrund von Vorurteilen schlechter abschneiden, sondern wegen ihrer objektiv schlechteren Leistungen.

Es ist weder politisch korrekt noch ein Ausdruck von Respekt, über den Körper anderer zu befinden. Auch wenn es aus der wissenschaftlichen Perspektive geschieht. Darum ein persönliches Outing vorweg: Ich war ein dickes Kind, mit Schwabbelbauch und Brüsten, sehr zum Gaudium meiner vorpubertären Mitschüler.

Irgendwie rettete mich die Pubertät; aus dem rundlichen 160-Zentimeter-80-Kilogramm-Mondgesicht wurde in einem Jahr eine Bohnenstange mit 185 Zentimeter und 75 Kilogramm. Ich war viel im Freien unterwegs, die Welt war noch nicht durch Junkfood, Computer und Internet bestimmt und eine schwache Stunde fernsehen pro Tag trug zur Bildung des Arbeiterkindes bei.

Glück gehabt. Heute käme ich wohl als dicker Bildschirmjunkie aus der Pubertät.

Warum ich Sie damit belästige? Weil unlängst eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung für moralinsaure Schlagzeilen in der Tagespresse gesorgt hat. Dicke Kinder unabhängig vom sozio-ökonomischen Hintergrund werden in Mathematik schlechter benotet, so diese Studie.

Natürlich hatte man sofort die Moralkeule zur Hand: Die Vorurteile der Lehrpersonen (und der mangelnde Selbstwert der Dicken) würden für eine ungerechte Benotung sorgen. Vielleicht. Allerdings finden sich auch objektivierbare Zusammenhänge zwischen Übergewicht und dem individuellen Funktionieren in der Gesellschaft.

So etwa zeigte sich in unserer jüngsten Studie zum Gassi-geh-Verhalten der Wiener eine geringere Neigung dicker Personen (vorwiegend älterer Männer), sich gesetzeskonform zu verhalten, also etwa die Hinterlassenschaft ihrer Flockis zu entfernen.

Na, ja, vielleicht ist ja schlicht der Bauch der Feind des Bückens.

Im Ernst: Man weiß heute, dass körperliche Bewegung in der Jugend einer der wichtigsten Faktoren für die Entwicklung guter „exekutiver Funktionen“ (EF: Impulskontrolle, Ziele verfolgen, Verlässlichkeit, etc.) darstellt. Diese EF wiederum erlauben eine bessere Vorhersage für den Erfolg in Schule und Gesellschaft als etwa der Intelligenzquotient.

Somit besteht die Möglichkeit, dass dicke Kinder als Gruppe nicht nur aufgrund von Vorurteilen schlechter abschneiden, sondern wegen ihrer objektiv schlechteren Leistungen. Zudem ist der Körper der Spiegel der Seele.

Starkes Übergewicht in der Jugend, unmittelbar bedingt durch Fehlernährung und Bewegungsmangel, ist im Grunde ähnlich sozial und psychisch grundgelegt wie das entgegengesetzte Extrem der Magersucht. Und Fettleibigkeit ist genauso lebensgefährlich wie die Anorexie, wenn auch etwas zeitverzögert. „Mens sana in corpore sano“, hieß es in der Antike.

Wie wahr!

Ganz jenseits des Disputs, ob nun leichtes Unter- oder Übergewicht das längste Leben garantiert, ist der politisch korrekte Ansatz abzulehnen, der schlicht davon ausgeht, dass der Mittelwert des Körpergewichts in einer immer fetter werdenden Gesellschaft als Normalgewicht anzusehen sei. Lebensqualität, Gesundheit und Glück hängen ganz offensichtlich mit der seelischen, sozialen und körperlichen Fitness zusammen, das Normalgewicht ist daher nicht wirklich politisch opportun relativierbar.

Was man nicht mit der ethischen Forderung verwechseln sollte, übergewichtige Menschen so zu akzeptieren wie sie nun mal sind.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau. E-Mails an:
debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2013)

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