Wir sind zu rasch zu viele Menschen auf der Welt geworden

Auch wenn es gern abgestritten wird: Das Problem der Überbevölkerung existiert – es ist real und ganz konkret.

Werner Boote will uns also in seiner neuen Dokumentation „Population Boom“ vermitteln, es gäbe keine Überbevölkerung. Klingt sehr menschenfreundlich. Es handle sich bloß um ein Verteilungsproblem, meint er. So eine Botschaft ist zu Zeiten des grassierenden Alarmismus wahrlich Balsam für die geschundene Seele. Aber hat Boote damit auch recht?

Als ich vor 61 Jahren zur Welt kam, waren wir 2,6 Milliarden; bis heute zählen wir sieben Milliarden. Um 2100 sind wir bei knapp unter zehn Milliarden – oder auch mehr. Nicht kommentiert werden muss, dass wir schon längst gewaltig funktionell übervölkert wären, wenn alle Menschen so leben würden wie wir in Europa oder in den USA. Wir verbrauchen unsere Welt, anstatt sie nachhaltig zu nutzen. Wenn alle Chinesen, Inder und Afrikaner Auto und Häuschen im Grünen hätten, wäre es schlagartig vorbei. Gelingt es nicht, unseren Lebensstil rasch auf eine nachhaltige Basis zu stellen, schaut es schon mit sieben Milliarden Leuten auf der Welt recht düster aus.

Im Moment und noch eine ganze Weile wäre es kein Problem, alle Menschen zu ernähren, wenn Verteilungsgerechtigkeit herrschen würde. Das tut sie aber nicht, weil Lebensmittel zu produzieren keine karitative Angelegenheit, sondern ein Geschäft ist, bei dem verdient werden muss. Und weil Spekulanten die Märkte treiben. Biosprit verteuert Brot, die subventionierte EU-Landwirtschaft treibt Bauern anderswo in den Ruin, und letztlich werfen wir weit über 30 Prozent der Lebensmittel weg – aus Marketinggründen, wie wir wissen, während andere hungern.

Tja, Herr Boote: In der besten aller Welten wären wir aus anthropozentrischer Sicht tatsächlich nicht überbevölkert. Aber die gibt es nicht – jetzt nicht und wohl auch nicht in ferner Zukunft. Wir erleben jetzt schon eskalierende Verteilungskämpfe und Migrationswellen. Die Zukunft in einer übervölkerten realen Welt wird also ziemlich ungemütlich.

Vor allem aber sind wir Menschen nicht allein auf dieser Welt. Daher ist die Sicht des Herrn Boote letztlich zutiefst unethisch, weil sie ausblendet, dass das Populationswachstum direkt zu einer Vernichtung des Lebensraums anderer Arten und zu einem Massensterben führt, wie das die Erde seit den Meteoritenkatastrophen des Erdmittelalters in dieser Rasanz nicht mehr erlebt hat. Wir sind zu rasch zu viele geworden. Und wir sind zudem so in unser steinzeitlich begründetes Menschsein verstrickt, dass es Menschen sehr schwerfällt, nachhaltig zu leben, geschweige denn, auf die Arten neben uns Rücksicht zu nehmen.

Der konservative Mainstream auf der Erde begünstigt die hübsche, menschenzentrierte Sicht der Dinge, getragen von einer ebenso unheiligen wie unausgesprochenen Allianz, die es diesbezüglich zwischen den Religionen und der Wirtschaft gibt. Beide sind vor allem an der Welt der Menschen, weniger am Menschen in der Natur interessiert. Sorry, Herr Boote, aber in wohl bester Absicht begeben Sie sich in die Rolle des nützlichen Propagandisten einer Ideologie des Wohlgefühls vor dem Untergang.

Die Überbevölkerung existiert leider ganz objektiv und ganz konkret. Weil wir nicht in einer idealen Welt, ohne viel Rücksichtnahme auf die Arten neben uns leben und mit nur wenig Aussicht, weltweit einen ökologisch nachhaltigen Lebensstil zu erreichen.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau. E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2013)

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