Über Wissenschaft staunen: Zum Beispiel über Hunde und Wölfe

Erste Risse im Mythos vom „aggressiven Dominanztier Wolf“ und vom „sanften, sozial kompetenten Alliierten Hund“.

Staunen macht die Wissenschaft, wenn sie Weltbilder herausfordert, schrieb ich in meiner letzten Kolumne sinngemäß. Oft aber bestätigt Wissenschaft bloß aufwendig, was man eh schon wusste. Das tat unlängst etwa Gregory Berns von der Emory University, der seinen Hund darauf trainierte, regungslos im fMRT-Scanner zu liegen. Und siehe da: Wie bei den Menschen, sprach auch der Nucleus caudatus im Gehirn des Hundes genauso auf angenehme soziale Reize an. Etwa, wenn der Hund seinen Menschenpartner sah oder auch nur roch. „Hunde lieben uns genau so wie wir sie“, lautete darauf die plakative Schlagzeile.

Einmal ehrlich: Wussten wir das nicht schon vorher? Und zwar nicht nur aus der intuitiven Perspektive des Hundehalters. Lange schon ist bekannt, dass Menschen und Hunde ein weitgehend gleiches Säugetiergehirn teilen, gerade was seine sozialen Funktionen betrifft. Befreit man daher die Ergebnisse von Kollegen Berns vom Hightech-Glamour, bleibt nicht viel an staunenswertem Neuen über.

Aber manche wissenschaftlichen Ergebnisse können einen schon aus den Socken hauen. So etwa arbeiten wir am Wolfsforschungszentrum seit Jahren an den geistigen Fähigkeiten und der Kooperationsbereitschaft von gleichartig gehaltenen Wölfen und Hunden. Unter anderem, weil neueste genetische Ergebnisse nahelegen, dass Menschen und Wölfe schon sehr lange zusammen sind; die erste Trennung zwischen Wolfs- und Hundegenomen erfolgte vor etwa 30.000 Jahren in Europa. Bis zu 20.000 Jahre alte, in Stein oder Knochen geritzte Darstellungen von Protohunden wurden übrigens in Westeuropa gefunden.

Seit jeher also sind Hunde Partner der menschlichen Kulturentwicklung. Weil Hunde im Verlauf ihrer Domestikation immer sanfter wurden und im Vergleich mit Wölfen immer besser mit Menschen kooperierten, so lautet der Konsens-Mythos, in den bisher auch alle Wissenschaftler eingestimmt haben. Aber leider alles nicht wahr, wie alle unsere neuesten Ergebnisse zeigen.

Meine Kolleginnen Friederike Range und Zsofia Viranyi fanden etwa heraus, dass Wölfe wesentlich toleranter als Hunde ihr Futter teilen und dass sie viel besser durch Zusehen lernen können. Unsere neuesten Daten von Leinenspaziergängen mit diesen Wölfen und Hunden belegen, dass die Wölfe mindestens so gut wie Hunde sind, mit Menschen zu kooperieren. Wölfe leinenführiger als Hunde? Wahrscheinlich, weil sie auch untereinander sozial feiner justiert, toleranter und kooperativer sind als Hunde.

Zu allem Überfluss sind Wölfe auch noch einfacher trainierbar, komplizierte Dinge zu tun. Dennoch sind sie nicht „die besseren Hunde“. Wolfspartner treffen ihre eigenen Entscheidungen und akzeptieren keinerlei Druck oder Bevormundung. Wölfe funktionieren ausschließlich auf Augenhöhe, dagegen sind Hunde auch als Untergebene Befehlsempfänger. Die domestizierten Wölfe wurden dabei weder sozial kompetenter, noch klüger noch sanfter als ihre Ahnen.

Unsere neuesten Ergebnisse stellen das Bild vom „aggressiven Dominanztier Wolf“ und vom „sanften, sozial kompetenten Alliierten Hund“ auf den Kopf. Wir werden sehen, wie das Zerbröseln alter Gewissheiten um den Hund aufgenommen werden wird – mit Staunen oder mit Ablehnung. Wie die Geschichte der Wissenschaft zeigt, wahrscheinlich eher mit Letzterem. Bis es nach einigen Jahren dann eh alle schon immer gewusst haben wollen ...

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2014)

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