Neues grünes Zeitalter oder: Der endgültige Sieg über die Natur?

Die Ehrfurcht vor der Schöpfung in Österreich schwindet – und damit verschwinden Wiesenvögel, Frösche und Kröten.

Die Öffentlichkeit wird heute mehr denn je durch Polit- und Wirtschaftsmarketing grün eingelullt. Schlimme Umweltsünden wären Vergangenheit, heute dagegen sind wir nachhaltig und grün, und alles wird gut. Leider nicht! Wir wohnen seit 1991 im schönen Salzkammergut. Immer gab es schmetternde Lerchen über den Wiesen und Feldern vor dem Haus. Seit letztem Jahr nicht mehr. Auch Mauersegler und Schwalben sind seit Kurzem weg, schon länger die Rebhühner. Nicht nur den Lerchen geht es schlecht – alle Wiesenvögelbestände gingen binnen einem Jahrzehnt teilweise um 90Prozent zurück. Ihr Lebensraum schrumpfte auf drei Prozent der heimischen Wiesen, der Rest ertrinkt in der Gülleflut der intensiven Landwirtschaft.

Von Stallrindern im Übermaß produziert, lässt es deren Grünfutter auf artenarmen Wiesen flott nachwachsen. Bauern müssen zum Überleben intensivieren. Und Güllewiesen werden etwa fünf Mal höher gefördert als Magerwiesen. Auch wird zu früh gemäht, und ein Großteil jener Amphibien, denen es noch gelang, die letzten Jahrzehnte zu überleben, stirbt nun in den Siloballen. So sank auch die Zahl der Frösche und Kröten teils um 90 Prozent. Unser Gartenteich zog im Frühjahr stets Kröten und Frösche zum Laichen an. Frösche gibt es schon länger keine mehr, und inzwischen warten nur noch ein paar Krötenmännchen vergeblich auf Weibchen.

Über die Jahrzehnte wurde zur Effizienzsteigerung der Landwirtschaft Landschaft ausgeräumt, Lebensraum vernichtet. Sie nimmt bis heute den Spitzenplatz unter Europas Naturvernichtern ein. Fürwahr, romantisch die Idee, dass die Bauern die Landschaft pflegen. Sie tun dies zum Preis eines anhaltenden Krieges gegen die Artenvielfalt. Den unter Druck stehenden Bauern selbst ist wenig vorzuhalten, dem System schon. Mit sanfter Demagogie könnte man anmerken, dass die aus Steuergeldern subventionierte Landwirtschaft produziert, was wir in diesen Mengen gar nicht brauchen.
Absurdes Wirtschaften also, auf Kosten der Natur.

Wo Menschen wirken, geht es natürlich nie ganz ohne Brösel ab. Schon unsere steinzeitlichen Vorfahren waren an der Ausrottung vieler Tierarten beteiligt, der Mammute, der großen Säugetiere in Südamerika, der pazifischen Fauna. Aber es gab damals noch nicht allzu viele Menschen. Ist es heute wirklich nötig, mit einer Fülle von Chemikalien – nicht nur Gülle und Chemie aus der Landwirtschaft – die Gewässer zu belasten? Muss es sein, dass täglich (!) 20 Hektar Boden zubetoniert werden? Mit der Ehrfurcht vor der Schöpfung ist es nicht weit her, wie etwa die Säumigkeit Österreichs beim Ausweisen von Natura-2000-Schutzgebieten zeigt.

Es gibt nicht nur diese „Kollateralschäden“, zusätzlich werden vorsätzlich und boshaft Natur und Tiere vernichtet, etwa die meisten Uhu-Bruten dieses Jahres. Kein Zufall, dass die Greifvogeldichte in Österreich geringer ist als in der Schweiz, dass in kurzer Zeit etwa 20 Braunbären „verdunsteten“, dass es trotz regelmäßiger Zuwanderung von Wölfen nicht zur Rudelbildung kommt.

Machtausübung durch Naturfrevel? Schießt man auf Tiere, um die Naturbesorgten zu treffen? Oder in bewusster Missachtung der Gesetze eines Staates, der zu schwach ist, diese durchzusetzen? Oder aus reiner Borniertheit? Gratulation jedenfalls! Wir sind zügig auf dem Weg zum endgültigen Sieg über die Natur – und damit in den eigenen Untergang.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2014)

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