Warum ich nicht gegen das Binnen-I unterschrieben habe

Mögen doch alle, denen es ein Anliegen ist, gendern wie die Hölle und damit viele andere ärgern! Gut so! Den Verlust der Verständlichkeit der Sprache als Keulenargument dagegen vorzuschieben ist allzu durchsichtig.

Sprache dient nicht, wie manche Unterzeichner des Briefes gegen das Binnen-I meinen, bloß zur „Verständigung“, sondern immer schon dem Ausdruck von Bedeutungen und Wertungen. Nichts anderes tut das Binnen-I.

Die letzte Rechtschreibreform ging eigentlich nach hinten los, da sie in der Praxis die Freiheit im Sprachgebrauch mehrte. Gemse oder Gämse – who cares? Großartig, steht doch unser schönes Idiom immer noch im Geruch einer Kommandosprache, etwa im anglosächsischen Raum. Machen die „Krauts“ den Mund auf, dann neigt man jenseits des Ärmelkanals immer noch zum reflexartigen Wegducken. Und warum wohl werden in kaum einer anderen Sprache Rufzeichen so häufig verwendet wie im Deutschen? Daher sehe ich alles mit Freude, was die Sprachfreiheit und -toleranz hierzulande befördert.

Die momentane Auseinandersetzung um das Binnen-I erzeugt ein ungutes Gefühl. Sommerlochthema zwar, deswegen aber nicht bedeutungslos. Sorry, dass ich drastisch werden muss, aber generell kommt mir das K..., wenn eifrige Prinzipienreiter andere Leute durch Überstülpen von Vorschriften unter (ihre) Kontrolle bringen wollen. So liegt eine Unterschrift für eine Rückkehr zur „sprachlichen Normalität“ für mich hart an der Grenze zur gefährlichen Drohung. Nein, das ist kein leidenschaftliches Plädoyer für das Gendern. Ich liebe das Binnen-I nicht, verwende es aber dennoch gelegentlich, wenn der Kontext passt, nehme mir damit die Freiheit, Sprache Bedeutung zu verleihen.

Ebenfalls zum K... finde ich die Belehrungs- und Kontrollattitüde mancher ZeitgenossInnen beim Gendern. Aber wenn es Leuten ein Anliegen ist, dann müssen wir das schon aushalten oder sogar annehmen – je nachdem. Das sprachliche Gendern und die Debatte darüber ist auch Ausdruck gesellschaftlicher Bewegung. Gut eigentlich für unser kleines Land. Völlig überflüssig, gegen das Binnen-I zu kämpfen, gleichzeitig aber geradezu Bürgerpflicht, alle Versuche abzuwehren, es entweder zu verordnen oder zu verbieten. Leider wird die gegenwärtige Diskussion zur Verhärtung der Lagerbildung beitragen. Die Verwendung des Binnen-I wird noch mehr als bisher der gesellschaftspolitischen Abstempelung dienen. Was überzeugte Sprachanarchisten wie mich nicht freut.

Der Brief gegen das Binnen-I schiebt Besorgnis für Sprache vor– riecht aber stark nach einer Maßregelung von als allzu eifrig wahrgenommenen VerfechterInnen der gesellschaftlichen Gleichstellung der Frau. So habe ich diesen Brief trotz Anfrage nicht unterschrieben, auch um zu vermeiden, mich in die konservative Kernriege in Österreich einzureihen, die dazu neigt, Veränderungen grundsätzlich als bedrohlich anzusehen. Der Sturm gegen das Binnen-I sollte somit auch die gegenwärtige Regierung beruhigen: Egal, was sie in dieser Legislaturperiode (nicht) tut – sie wird schon wiedergewählt werden. Obwohl eine Minderheit im Land die großen Reformen zur Zukunftssicherung schmerzlich vermisst, wird (zu) wenig geschehen, weil sich eine Mehrheit vor allem Neuen fürchtet. Dafür steht der Kampf gegen das Binnen-I allemal als ein beredtes Symbol. Ganz zu schweigen von seiner Symbolik für die Stärke des heimischen Patriarchats und für schwächelnde Demokratisierung.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2014)

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