Luchs, Bär und Wolf brauchen ein demokratisches Österreich

Jagd ist Wirtschaftsform, Lebensstil und netzwerken, aber sie ist offenbar nicht wirklich „angewandter Naturschutz“.

Jagen dient bei sozialen Beutegreifern wie Menschen oder Wölfen der Nahrungsbeschaffung; sie fördert aber auch den Gruppenzusammenhalt und schafft Ansehen. Immer noch jagen wir heute neben Geld, Status und Glück andere Tiere. Jagdausübung ist letztlich auch ein Hinweis auf das intensive menschliche Interesse an der Natur und ihrer Kontrolle. Es ist okay, Freude an der Jagd zu haben. Macht über andere Tiere auszuüben, die Entscheidung treffen zu können, ein gutes Leben in freier Natur sauber zu beenden – das hat schon was, auch etwas Spirituelles. Kein Vergleich zu den ekligen Massenschlachtungen von Schweinen nach einem miserablen Leben in Intensivhaltung.

Der Jäger hegt, der Jäger tötet. Schon in Ordnung, wenn man mit diesem Bewusstsein der Macht bescheiden umzugehen vermag. In Abwesenheit der großen Beutegreifer müssten sie das Wild regulieren und durch Auslese gesund erhalten, argumentieren die Jäger. Tatsächlich aber gibt es heute nicht trotz, sondern wegen der Jagd mehr Wild als je zuvor. Gesund erhalten? In Tirol und Vorarlberg grassieren TBC-Infektionen beim Rotwild.

Die Jagd versagt nach wie vor bei der Regulierung der von der Nordsee bis in die Alpen explodierenden Wildschweinbestände. Aber es wird – beileibe nicht nur von Jägern – immer noch „Raubzeug“ dezimiert: eingewanderte Wölfe verschwinden, Seeadler werden mit Karbofuran vergiftet. Frei lebende Hunde dürfen selbst dann abgeschossen werden, wenn sie nicht jagen. Jagd ist Wirtschaftsform, Lebensstil und netzwerken, aber sie ist offenbar nicht wirklich „angewandter Naturschutz“, wie ihre Vertreter gern behaupten.

Ganz wichtig, dass immer mehr (noch viel zu wenige) Jäger auf Basis ökologischer Erkenntnisse werken. Die offiziellen Vertreter der Jagd begrüßen die Rückkehr von Luchs, Bär und Wolf. Unter vorgehaltener Hand ist anderes zu hören – und das umso hartnäckiger, je vehementer eine Mehrheit im Lande das Lebensrecht dieser Beutegreifer auch hierzulande einfordert. In Deutschland gibt es bereits wieder 25 Wolfsrudel, seltsamerweise aber keines in Österreich – trotz Mehrfachschutzes des Wolfes durch europäische und nationale Gesetze, trotz ständig zuwandernder Wölfe, trotz bester Eignung des Lebensraums.


Der Höhepunkt der Ausrottung von Luchs, Bär und Wolf in Europa im 17. und 18.Jahrhundert fiel mit der Blüte des Absolutismus zusammen. Man duldete keine Mitregenten im Wald. Auch heute scheint die Feudalgesinnung so mancher ländlicher Bewaffneter die Hauptursache für die anachronistische Abwesenheit der großen Beutegreifer zu sein. Solange eine Minderheit Gesetze ignoriert, nach Gutdünken waltet und sich damit außerhalb des demokratischen Grundkonsenses stellt, haben Luchs, Bär und Wolf hierzulande keine Chance. Daher kann an der Demokratisierung der Jagd kein Weg vorbeiführen. Zudem ist es nicht gerade beruhigend, wenn man hört, dass Neureiche neuerdings große Gebiete in Österreich umzäunen und dort nach Gutdünken herumballern.

Jagd muss letztlich ihre ureigenen Interessen mit denen des Naturschutzes integrieren und Teil der Gesellschaft werden, anstatt sich vornehm neben sie zu stellen. Solange Jagd hierzulande vor allem das Substrat für den konservativen Filz zwischen oligarchischen Interessen und Politik hergibt, wird es finster bleiben für Luchs, Bär, Wolf und Co.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2014)

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