Die Machtspiele der Menschen und der anderen Tiere

Die innenpolitischen Ereignisse der vergangenen Woche zeigen erneut: Im Menschen drinnen steckt viel Tier.

Die Medien stürzten sich auf den ÖVP-Regierungswechsel wie ein Verdurstender auf ein Glas Wasser. Wohl aus Hoffnung, dass endlich etwas geschieht, aus Angst davor, oder schlicht aus Freude am Kommentieren. Angesichts der politischen Gepflogenheiten der Menschen liegt ein Vergleich mit dem Gesellschaftsleben anderer Tiere durchaus nahe. Frans de Waal beobachtete die machiavellischen Bündnisse bei unseren nächsten Verwandten und brachte bereits 1982 sein Buch „Chimpanzee politics“ heraus. Von der Biologie her sind Menschen eindeutig eine Schimpansenart, von unserem Sozialverhalten weitgehend auch. Evolutionäre Anlagen bestimmen unser Zusammenleben in Wirtschaft und Politik wesentlich stärker mit, als es dem oft arroganten Stolz auf die überragende Denkfähigkeit des Menschen lieb sein kann.

Auch in den Gesellschaften der Wölfe, Schimpansen oder Schwertwale spielen Individuen persönlichkeits-, herkunfts- oder traditionsbedingt unterschiedliche Rollen; Klane und Subkulturen tendieren dazu, sich voneinander abzugrenzen, auch genetisch, und vorwiegend gegeneinander zu arbeiten. Nein, eigentlich keine direkte Anspielung auf Rot und Schwarz.

Und auch keine Ausrede für wechselseitige Blockadepolitik. Weil sich Individuen auch bei anderen sozial komplexen Tieren vorwiegend als „wir gegen die anderen“ definieren, müssen die an sich vernunftbegabten Menschen das ja nicht unbedingt auch tun.

Parallelen in der Gruppendynamik zwischen Menschen und der anderer Tiere sind ein Ergebnis gleichartiger Selektion in der Evolution sozialer Systeme. So leben auch Wölfe in Hierarchien, die übrigens wesentlich flacher als Parteihierarchien ausgebildet sind. Rudelintern folgt man gerne den Entscheidungen der erfahrenen Alphas, wenn diese den eigenen Interessen nicht zuwider laufen.

Wie auch die Chefs in politischen Parteien sorgen die Alphas für Nachwuchs, sexuell bei Wölfen, hoffentlich sozial in menschlichen Politsystemen. Innerhalb der Rudel wird beim Jagen, beim Aufziehen der Jungen und gelegentlichen in grausamen Scharmützel gegen die Nachbarn kooperiert. Außendruck fördert meist, aber nicht immer den internen Zusammenhalt.

Dass etwa politische Parteien gelegentlich zerbröseln, anstatt geschlossen zu kämpfen, ist immer ein untrügliches Indiz für eine zusammengewürfelte Truppe mit divergierenden Partikulärinteressen. Etwa ein systemimmanentes Problem einer Partei mit Bündestruktur. Meist hält man dennoch eine Weile an den Chefs fest – man weiß ja nicht, was nachkommt. Der Wechsel wird bei Schimpansen, einschließlich Mensch, of angestrebt, wenn die Chance besteht, einen Verbündeten aus der eigenen Subkultur an die Spitze zu bringen.

Bei den Säugetieren tötet der „Neue“ meist den Nachwuchs des Vorgängers, um rasch die eigenen Gene zu proliferieren. In zivilisierten Gesellschaften verlaufen Machtwechsel unblutig, man ersetzt aber die Träger der Meme des Vorgängers durch die eigenen Vertrauten. Je weniger dies geschieht, desto schwächer der Neue, könnte man meinen. Bei Mitterlehner scheint das Gegenteil zuzutreffen. Es sitzt ÖVP-intern so fest im Sattel, dass er es (noch) nicht nötig hat, ein heftiges Köpferollen in seiner Umgebung zu veranstalten. Dass viel Tier im Menschen steckt, zeigt sich übrigens nicht nur in der Politik. Mehr dazu in zwei Wochen.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

Emails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2014)

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