Zentrum und Salz der Gesellschaft: 650 Jahre Universität Wien

Bedroht ist die Uni durch die Arroganz des Habens gegenüber dem Sein; aktuell, dass sie zu wenig hat, um zu sein.

Nobelpreisträger, über 90.000 Studierende zwischen Tradition und modernster Forschung, das Wissen der Welt in gelegentlich besetzten Hörsälen und heldenhafte, sporadisch getortete Rektoren: Uni Wien eben. Universitäten sind Speerspitzen, spröde Diener der Gesellschaft. Sie kritisieren, widersprechen, mischen sich ein; sie fordern, aus der Gewissheit ihrer Rolle als Mitte, Klammer und Salz der Gesellschaft; sie sind permanent im Widerstand gegen Vernaderung, Provinzgeist und eitle Dummheit. Die Schleimspur ist nicht ihr Habitat. Unis generieren aufgeklärtes Denken, wahren die Demokratie. Aufregen ist ihre Pflicht, denn in Selbstzufriedenheit stirbt die Uni, sie verdorrt im Status quo, erstickt in Bürokratie.

Was etwa als Bologna-Prozess die Durchlässigkeit für Studierende innerhalb Europas gewährleisten sollte, begünstigt Formalisierung, Trivial-Pursuit-Wissen und brutale Verschulung; der Geist der Unis verflüchtigt sich schaudernd. Bedroht ist die Uni vor allem aber durch die Arroganz des Habens gegenüber dem Sein; aktuell, dass sie zu wenig hat, um zu sein. An den Unis schafft nicht immer an, wer zahlt. Nagen sie auch darum beständig am Hungertuch?

Unis seien „abgehoben“, ihre Absolventen „zu nichts zu gebrauchen“. Einerlei, ob aus Bosheit oder blanker Borniertheit geäußert, es steckt ein Körnchen Wahrheit darin. Denn an der Uni hat Praxisferne System. Es geht schließlich um die Grundlagen von allem, um Philosophie und Welterkenntnis pur, um vielfältigstes Wissen – faszinierend, herausfordernd, verwirrend, um Nahrung für den Geist. Was soll so schlimm sein am Zu-nichts-zu-Gebrauchen?

Die großen Innovationen kommen schließlich aus der Grundlagenforschung, nur selten generiert das offensichtlich Brauchbare Epochales. Unis sollten Bildung und Sozialisierung mit wissenschaftlichem Denken über die Ausbildung stellen. In der Regel zumindest. Schön, mit dem Arzt über Gott und die Welt diskutieren zu können; essenziell aber, wenn er beim Entfernen der Mandeln nicht irrtümlich den Fazialis-Nerv durchtrennt.

Selbst wenn es heute politisch nicht mehr korrekt sein mag, behaupte ich, dass Fachhochschulen hervorragende Ausbildung leisten, Universitäten dagegen Exzellenz in den Grundlagen, in Wissenschaft und Bildung pflegen müssen. Raus aus dem Elfenbeinturm, heißt es. Aber Vorsicht! Dieser Turm macht die Uni aus, als Rückzugs-, Denk-, Forschungs- und Kommunikationsort, als Distanzhalter zu einer allzu banalen, utilitaristischen Welt.

Wissenschaftler sind Ordensleute, die Uni ist ihr Konvent. Sie haben Balance zu wahren, zwischen öffnen und verweigern, zwischen Lebenseuphorie und Askese. Unis sind elitär, denn ihr Stammpersonal lebt geistig-fachliche Exzellenz. Die Weiherituale in diesem Turm des Aristoteles sind Promotionen, Habilitationen und Berufungen, um jene Ansprüche zu befriedigen, von denen Studierenden und Gesellschaft meist nicht einmal bewusst ist, dass sie diese haben sollten. Die Wirklichkeit ist freilich banaler, bequemer, angepasster. Dummheit, Faulheit und Intrige machen auch vor den Toren der Unis nicht halt. Soll sein, solange das Gefälle zwischen drinnen und draußen hält.

Für Wien und für Österreich ist die Uni Wien irgendwie Seele. Für Europa und die Welt sollte sie es sein. Grund genug, ihr leidenschaftlich zum 650-jährigen Geburtstag das Allerbeste zu wünschen!

Vivat, crescat, floreat – ad multos annos!

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2015)

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