Die jungen Krieger der Berggasse und die beamtete Mieselsucht

Subversion gegen Mieselsucht wird sofort geahndet. Ein wenig Behördengebell – schon ist der aufrechte Gang weg.

An diesem sonnigen Sonntagmorgen dringt das Lachen der Passanten durch die zur Berggasse hin offenen Fenster; dazu das sonore Quietschen einer Fahrradbremse, das Pfeifen ferner Mauersegler. Seltener als sonst stören Autogeräusche das urbane Morgenidyll. Plötzlich aber hebt bergwärts in der Gasse ein Rauschen an, das unter unserer Wohnung als ratterndes Grollen eintrifft.

Der neugierige Blick zeigt eine Horde junger Männer, auf Skateboards die Gasse talwärts rasen, nebeneinander, hintereinander, vom Trottoir auf die Fahrbahn und wieder zurück wechselnd. Einer schlittert nach kühnem Sprung aus voller Fahrt über das Stahlrohrgeländer, das gegenüber den Radstreifen vom Gehsteig trennt.

Eine lässige Truppe von etwa 15 so um die 20-Jährigen, mit wehenden Dreadlocks und „Uns gehört die Welt“-Attitüde; manch einer von ihnen mit einer Dose Bier in der Hand. Es lag wohl am spärlichen Querverkehr, dass jenem Jüngling nichts passierte, der, die rote Ampel überfahrend, mit Karacho in die Liechtensteinstraße einbog.

Fasziniert, verwundert und freudig berührt beobachtete ich den dramatischen Auftritt der jungen Krieger. Man beschloss offenbar, sich gegenüber meinem Logenplatz gut einseh- und hörbar zu sammeln. Schmäh wurde geführt, ein paar weitere Sprünge am erwähnten Geländer geübt, als die Darbietung schon nach wenigen Sekunden mit dem Auftritt eines Beamten in Zivil jäh an Dramatik gewann. Der braun gebrannte, sportliche Mann jenseits der 40 eilte sichtlich verärgert aus der Hauseinfahrt eines wenig charmanten, vom Innenministerium genutzten Gebäudes schräg gegenüber vom Café Berg. Er herrschte die Dreadlock-Krieger laut und rüde an, sie sollen verschwinden etc.

Sichtlich baff versuchten diese zunächst zu argumentieren, aber vergeblich: Der Mann vom anderen Stamm ließ nicht mit sich reden. In breitem Kottan-Deutsch erteilte er den Kriegern einen formalen Platzverweis und drohte mit Konsequenzen, um sich nach einigem Hin und Her wieder zurückzuziehen.

Auf Mauersimsen und besagtem Geländer hockend, beratschlagte man offenbar, was nun zu tun sei – trotziger Widerstand oder Abzug. Die Körperhaltung verriet, wie man sich entscheiden würde: Aus den Kriegern waren wieder Söhne aus gutem Haus geworden. Mit gebeugtem Rücken und gesenktem Kopf trollten sie sich die Liechtensteinstraße stadtauswärts, das Skateboard unterm Arm oder unter den Füßen. Die Stimmung war dahin – sowohl ihre als auch meine.

Hätte man als Repräsentant eines demokratischen Staates die jungen Leute nicht freundlich und vielleicht augenzwinkernd darauf aufmerksam machen können, dass ihr Verhalten unter Umständen gefährlich sein kann? Ich wette, sie hätten mit sich reden lassen. Stattdessen behandelte man sie als Feinde. Jung, Dreadlocks und gute Laune reichen aus, um die Subversion gegen Mieselsucht augenblicklich streng zu ahnden.

Enttäuschend aber auch, wie rasch aus stolzen Kriegern wieder Untertanen wurden. Ein wenig Behördengebell am Sonntagmorgen – und schon ist er weg, der aufrechte Gang. Es reicht im Land des Reformstaus, der sinkender Reallöhne, der Unterfinanzierung von Forschung, Universitäten und vieler anderer Bereiche nicht, dass die Österreicher zu den glücklichsten Europäern zählen. Für die Zukunft braucht es echte Krieger und Amazonen – keine Attrappen.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2015)

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