Die Intellektuellen und die heimische Diskussionskultur

Der gesellschaftliche Dialog kränkelt, weil sich zu wenige aus der Deckung wagen, zu wenige zuhören oder antworten.

Intellektuelle sind Denker mit Öffentlichkeitsanspruch und gesellschaftlicher Wirkung. Wo findet man sie hierzulande? Trotz ausbleibender Reformen, der Flüchtlingslage etc. bleibt es unglaublich ruhig im Land. Man beklagt die mangelnde Diskussionskultur, gönnt sich ein Achterl und denkt sich seinen Teil.

Dringender Intellektuellenbedarf bestünde etwa, um gesellschaftliche Entwicklungen zu kommentieren, die Regierenden zu kontrollieren und die Wähler zu inspirieren. Erfrischend wären auch ein paar sprühende Köpfe in der Politik selbst. Die letzten ihrer Art waren Bruno Kreisky, Erhard Busek, vielleicht Heinrich Neisser. Heute gibt es ein paar Spartenintellektuelle wie Hans Jörg Schelling oder Sophie Karmasin. Aber zählt schon zu den Intellektuellen, wer die Intelligenz der Leute nicht andauernd beleidigt? Abwesenheit von Unglück bedeutet bekanntlich nicht schon Glück.

Denkernischen bietet offenbar der Journalismus, meist verborgen in Qualitätsmedien wie der „Presse“, Ö1, NZZ Online etc. Ihre Wahrnehmung hält sich im Printbereich – wohl auch wegen der erschreckenden Eigentumsverhältnisse – in Grenzen. Der nicht ganz unabhängige ORF bietet überwiegend circenses als Programm, fürs Hirn gibt es Nischen wie ORF III. Ein populistisches Programm und gleichzeitig gegen den blauen Populismus wettern (die Roten sind sowieso sakrosankt) – das hat schon was! Wenigstens bildet die Religionsredaktion ein intellektuelles Resthabitat.

Und die Wissenschaften? Mehr als Fachintellektualität ist heutzutage unüblich, ja unerwünscht. Die Institutionen haben eher wenig Freude mit Kritik – und zum Denken bleibt in der täglichen Forschungshektik ohnehin kaum Zeit. Passenderweise werden die Universitäten in Zeiten der Vollrechtsfähigkeit nach dem Muster der Wirtschaft eher von Machern als von Denkern geführt.

Am ehesten noch billigt unsere „Seitenblicke“-Gesellschaft Künstlern und Schauspielern Intellektuellenstatus zu. Ein Promi, der bedeutungsvoll und wohlklingend Kluges von sich gibt, verhält sich aber zum Intellektuellen wie die volksdümmliche Musik zur Volksmusik. So bleiben die Kabarettisten (plus Franz Schuh)die Creme der heimischen Intellektuellenszene. Durchaus weise Hofnarren, erbauliche Unterhalter, die man gerade deswegen nicht ernst nehmen muss. Im Gegensatz zu den vorwiegend von Eliten wahrgenommenen saisonalen Inseln der Intellektualität – wie Alpbach oder Lech – werden nur wenige Paradeintellektuelle breit perzipiert, Konrad Paul Liessmann etwa oder Rudolf Taschner. Leise bleiben unsere Literaten, Thomas Bernhard war gestern.

Am gesellschaftlichen Dialog mangelt es, weil sich zu wenige aus der Deckung wagen und zu wenige zuhören oder gar antworten. Das intellektuelle Anspruchsniveau ist hierzulande profund unterentwickelt, auch bei den meisten Machern in Politik und Wirtschaft. Intellektuell scheint man sich selbst genug, man hält sich ja Coaches und Spindoktoren. Zu brav lassen sich die heimischen Intellektuellen auf ihre meist subventionierten Nabelschau-Inzucht-Nischen eingrenzen; eine unheilige Allianz, die unsere Gesellschaft heute massiv von oben verdummt.

Absehbar übrigens, wie man auf diese Polemik reagieren wird: amüsiert oder angewidert, vielleicht zustimmend, je nachdem. Dann mit einem Kaffee wieder zur Tagesordnung übergehen.

Quod erat demonstrandum.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2015)

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