Der Wiener Kindergartenskandal macht Angst – und das zu Recht

Religiöse Ideologien sind Privatsache. In den Kindergärten haben religiöse Agitation und Indoktrination nichts verloren.

Nur in einer aufgeklärten, liberalen und pluralistischen Demokratie können sich die Wissenschaften und Künste entfalten. Das schöpferisch-kreative Streben und Wissen-Wollen ist das Beste, was die Natur des Menschen zu bieten hat. Dazu braucht es die Freiheit des Geistes und individuelle Freiheit in Verantwortung für die anderen. Klar, dass dieses Konzept den Mächtigen immer Angst machte. Folgerichtig dienen Ideologien dem zuverlässigen Machterhalt – egal, ob weltliche oder religiöse. Alle Ideologien treten mit Regelwerken zur Einschränkung der geistigen und individuellen Freiheiten an, alle verlangen Konformismus in Denken und Handeln, unter Verheißung einer glücklichen, fernen Zukunft.

Die hilflos-lasche Preisgabe der Ideale der pluralistischen Demokratie autoritären Tendenzen gegenüber zeigt sich besonders erschütternd im Wiener Kindergartenskandal. Die Kleinen sollten im Spiel ihre kreativen Stärken entdecken und jene sozialen und sprachlichen Voraussetzungen entwickeln, die ihnen ermöglichen, sich zu aktiven Mitgliedern einer aufgeklärt-liberalen Demokratie zu entwickeln. Allein auf Basis dieser Ressourcen kann die individuelle Entfaltung in Verantwortung für die Gemeinschaft gelingen. In Wirklichkeit aber werden in manchen Kindergärten die Kleinen religiös-ideologisch indoktriniert.

Dass es konservativ-islamische Kindergärten in Wien gibt, wird endlich zu einem recht vielschichtigen Skandal. Es brauchte eine von außen in Auftrag gegebene (Pilot-)Studie von Professor Ednan Aslan, um Stadträtin Sonja Wehsely auf etwas hinzuweisen, was ihr ohnehin längst bewusst gewesen sein musste, was aber offenbar aus integrativer Harmoniesucht unter den Teppich gekehrt wurde. Und Frau Wehsely trägt noch kräftig zum Skandal bei, indem sie meint, die Ergebnisse der Aslan-Studie seien nicht detailliert genug, um einschreiten zu können.

Wie bitte? Sie gibt offiziell zu, dass sie nicht weiß, was sich in ihrem Bereich abspielt? Und versucht auch noch eine Skandalbehübschung mit der Bemerkung, ein bisschen Religion müsse im Kindergarten wohl erlaubt sein. Offenbar frei nach dem Motto: Koransuren ja, Nikolaus nein. Skandalös übrigens auch die Auslassungen des Herrn Fuat Sanaç, des Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, der erklärte, Mohammeds Schäfchen im Kindergarten just unter Berufung auf die Menschlichkeit verteidigen zu müssen. Abgründe ignoranter Arroganz tun sich auf – bei Stadträtin Wehsely ebenso wie auch bei Präsident Sanaç.

Religiöse Agitation jeglicher Art in Kindergärten widerspricht diametral deren oben definierten Aufgaben. Warum soll man eigentlich islamische Kindergärten alarmierend finden, solange es so viele katholische oder evangelische gibt? Gewiss, Eltern haben das Recht, die Kinder in die Einrichtung ihrer Wahl zu schicken. Wieder bleibt dabei aber das Recht der Kinder auf ein selbstbestimmtes Leben in einer aufgeklärten Gesellschaft auf der Strecke. Mit dem Zumüllen der Hirne mit religiöser Ideologie werden sie früh auf ein Wir-gegen-die-anderen vorbereitet. Keine guten Aussichten, auch nicht für die Zukunft der Wissenschaften. Als Lösung taugt einzig die konsequente Trennung von Religion und Staat.

Religiöse Ideologien sind Privatsache. In den Kindergärten haben sie rein gar nichts verloren. Wir sind dabei, sehenden Auges die Zukunft zu verschlampen – und uns das auch noch schönzureden.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2015)

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