Wolf und Menschen an der Wiege der eurasischen Kultur

Das Anknüpfen an die Urpartnerschaft zwischen Jägern und Wölfen könnte eine Neuorientierung der Jagd katalysieren.

Es war kein Aprilscherz, als ich vor zwei Wochen eine Partnerschaft zwischen Jägern und Wölfen vorschlug. Denn wir wissen, dass Wölfe besser als Menschen Wildbestände gesund, Wildschweine unter Kontrolle halten und für eine reichhaltige Natur sorgen können. Ferner wissen wir, dass man Wölfe nicht bejagen sollte, um die Verluste an Schafen und anderen Weidetieren zu minimieren. Der Wolf sorgt selbst dafür, dass seine Zahlen nicht in den Himmel wachsen; bekanntlich ist der Wolf des Wolfes Mensch.

Neuerdings versteht man auch besser, wie wir auf den Hund kamen, also wie und warum sich Mensch und Wolf zusammentaten. Die US-Archäologin Pat Shipman fasst in ihrem neuen Buch wissenschaftliche Evidenz dafür zusammen, dass die Gleichzeitigkeit des Beginns der Partnerschaft von Wolf mit Homo sapiens und das Auftauchen der ersten Mammutjägercamps vor etwa 35.000 Jahren keine Zufäll waren. Wege gefunden zu haben, mit Wölfen zu kooperieren, war für die altsteinzeitlichen Jäger und Sammler ein enormer kulturell-technologischer Fortschritt, verbunden mit einem erheblichen Wettbewerbsvorteil. Man jagte gemeinsam Mammuts. Wahrscheinlich wurden diese von den Wölfen gestellt und konnten so von den Menschen effizient erlegt werden.

Dazu kommt noch eine höchst wichtige Schutzfunktion. Frühe Homo sapiens kann man getrost als „Massakerart“ bezeichnen, da sie ihren Nachbarn regelmäßig die Schädel einschlugen. Leider hat sich daran bis heute wenig geändert. Wir wissen vom Zusammenleben mit unseren sozialisierten Wölfen in Ernstbrunn, dass diese durch stimmloses Wuffen warnen, wenn ihnen etwas verdächtig vorkommt. Menschen in Wolfsbegleitung kann man daher nächtens kaum überraschen. Zudem verteidigen verbündete Wölfe auch gegen gefährliche Beutegreifer wie andere Wölfe, Bären, Hyänen etc.

Wichtige Hinweise zur Mensch/Wolf-Partnerschaft und zur Hundwerdung lieferte unter anderem die Ausgrabungsstätte Předmostí in Tschechien. Dort fand man die Reste einer reichen, etwa 30.000 Jahre alten Säugetierfauna, einschließlich Menschen, Wölfen, Hunden und Hund/Wolf-Hybriden. Isotopenanalysen von Bindegewebsresten zeigten, dass Menschen und Wölfe vorwiegend Mammuts aßen, die Hunde dagegen Pferd und Ren. Dies sowie die kultisch motivierten Manipulationen an Hunde- und Wolfsschädeln lassen den reichen spirituellen Hintergrund erahnen.

Die damals noch parallel zu unseren Vorfahren existierenden Neandertaler lebten dagegen nicht in Partnerschaft mit dem Wolf; sie gingen langsam in Konkurrenz mit unseren Vorfahren unter. Ihre Spuren verlieren sich vor etwa 20.000 Jahren in Südspanien – ohne Hinweise darauf, dass Homo sapiens sie je aktiv bekämpft hätte. Im Gegenteil: Techtelmechtel zwischen den zwei Menschenarten sorgten dafür, dass wir heute die Neandertaler in Form ihrer Gene in uns tragen.

In der Jagd repräsentiert der Hund noch immer die archaische Partnerschaft mit dem Wolf. Das Anknüpfen an die Urpartnerschaft zwischen Jägern und Wölfen wäre nicht nur Besinnung auf den Beginn der eurasischen Kulturentwicklungen, es könnte auch eine Neuorientierung der Jagd katalysieren, mit mehr Orientierung an der Natur und mehr menschlichem Maß. Sicherlich eine romantische Idee, ein schöner Gedanke allemal. Übrigens, eine sehenswerte Ausstellung zum Wolf wurde gerade im Jagdmuseum Stainz eröffnet.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2016)

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