Warum manche Leute an Gott glauben, andere dagegen nicht

Die Bereitschaft zu glauben hängt stark mit der moralischen Einstellung zusammen, weniger mit analytischem Denken.

Warum Menschen an höhere Mächte glauben wollen, können Evolutionsbiologen recht schlüssig beantworten: weil sich über die vergangenen 700.000 Jahre bei Homo sapiens die Sprach-und Denkfähigkeit zu einer Art „philosophischem Modul“ im Gehirn vereinten. Die Grundursache für Angst ist das Unerklärliche. Nur Menschen, die sich „einordnen“ können, die in Gewissheit ihrer Herkunft, des Sinns ihres gegenwärtigen Lebens und ihrer Zukunft leben, entkommen der Angst.

Dem stehen heute Entwurzelung, Sinnkrisen und ungewisse Zukunft gegenüber. Für Menschen ist es überlebenswichtig, die Welt, die eigene Herkunft und Sinnhaftigkeit und ein Kontinuum des Selbst nach dem Tod zu konstruieren. Religionen sind solche Sinnsysteme. Die Menschen spannten dazu die Spiritualität, Emotionalität und den Verstand ihres Mythenhirns zusammen. Andere Einordnungssysteme sind die Wissenschaften – mit ihrem empirisch-materialistischen Extrem der modernen Naturwissenschaften.

Kaum verwunderlich also, dass Psychologen auf Basis des zunehmend besseren Verständnisses der Funktionsweise unseres Gehirns meinten, dass der Glaube an Gott mit sozialem und emotionalem Denken verbunden wäre, während die Agnostiker und Atheisten eher dem analytischen Denken anhingen. Das stimmt offensichtlich mit Ergebnissen zu besonders hohen Raten an Ungläubigen unter Naturwissenschaftlern überein.

Neue Erkenntnisse einer Gruppe von US-Philosophen und Psychologen um Jack Friedman lassen diese simplen Gewissheiten wanken. Sie fragten, ob der Glaube generell mit der sozialen und emotionalen Intelligenz – oder aber mit bestimmten Dimensionen derselben – verbunden wäre und ob Unglaube tatsächlich mit analytischem Denken zusammenhänge. Dazu fassten sie acht hypothesenbasierte Studien zusammen, die die Bereitschaft zu glauben in Beziehung zur Fähigkeit untersuchten, sich einzufühlen oder moralisch zu handeln. Wenig verwunderlich hing die Bereitschaft zum Glauben stark mit der moralischen Einstellung zusammen.

Dagegen scheint die negative Beziehung zwischen analytischem Denken und Glaubensbereitschaft eher mit der negativen Beziehung zwischen analytischem Denken und Moralität zusammenzuhängen. Analytische Denker sind nicht notwendigerweise amoralisch, aber ihre Moralität rekrutiert sich eher aus der empirisch-rationalen Einsicht als aus festen Grundsätzen. Auch die durchwegs höhere Bereitschaft zum Glauben bei Frauen als bei Männern erklärt sich aus ihrer offenbar höheren Bereitschaft, sich an moralischen Grundsätzen zu orientieren.

Freilich schafft diese Studie auch ein Henne-Ei-Problem. Es überrascht kaum, dass Leute, die bereit sind, moralische Prinzipien und Grundsätze zu akzeptieren, auch zum Glauben neigen. Was gut für sie ist, denn Gewissheit bereitet bekanntlich ein zufriedeneres und längeres Leben als der notorische Zweifel.

Aber ist das eine taugliche Unterscheidung zwischen den moralischen Glaubenden und den analytisch Denkenden? Erstere finden ihre lebenserhaltende Gewissheit wohl eher im Ziel, Zweitere dagegen eher im Weg. Wäre es im Lichte des Verschiedenseins der Menschen nicht an der Zeit, den Urkampf zwischen Glauben und rationaler Erkenntnis im Museum der menschlichen Geistesgeschichte abzugeben?

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2016)

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