Mit Federn, Haut und Haar: Tiere, Kinder: Ein Fehlstart Europas

Tiere können wichtige soziale Unterstützer für Menschen aller Altersklassen sein.

Bereits ein paar Mal habe ich meine geneigten Leser mit der Botschaft beglückt, dass das Zusammenleben mit Tieren von Vorteil sein kann, zuletzt am 18.März 2009. Kinder interessieren sich beinahe instinktiv für Tiere, Babys widmen lebenden Tieren mehr Aufmerksamkeit als Stoff- oder Plastiksurrogaten. Und die lange gehegten Hygienebedenken, Säuglinge mit Tieren in direkten Kontakt zu bringen, stellten sich als falsch heraus. So etwa sind es die Allerweltsbakterien (z.B. in Kuhställen), die das Immunsystem im ersten Lebensjahr braucht, um später nicht allergisch auszurasten.

Es pfeifen bereits die Spatzen von den Dächern, dass Tiere wichtige soziale Unterstützer für Menschen aller Altersklassen sein können, geeignet, Wohlbefinden und Gesundheitszustand zu verbessern. Insbesondere Kinder, die in Beziehung zu einem Hund aufwachsen, entwickeln größere empathische Fähigkeiten, Verantwortlichkeit, soziale Intelligenz und sind besser gegen soziale Krisen gepuffert als Kinder ohne Hund. Warum das so ist? Mit Tieren, insbesondere Hunden, sind elementare sinnliche soziale Beziehungen möglich, ohne jenen kognitiv-kulturellen Überbau, der die Beziehungen zu Menschen allzu oft vergällt. Tiere aktivieren Fürsorge, und der Körperkontakt mit ihnen setzt jenes Oxytocin frei, von dem in meiner nächsten Kolumne ausführlich die Schreibe sein wird. Das puffert gegen Stress und stellt Körper und Gehirn auf soziale Beziehungen und Lernen ein.

All das ist wissenschaftlich brisantes Neuland. Neulich hat sogar das renommierte NIH (National Institute of Health, die wichtigste Agentur zur Förderung von Grundlagenforschung in den USA) beschlossen, die Mensch-Tier-Beziehung (MTB) auf seine Liste der förderungswürdigen Forschungsvorhaben zu setzen. Und während Sie (hoffentlich) diese Zeilen lesen, befindet sich Ihr Autor gerade in Waltham/England, an der wichtigsten Forschungsinstitution zur MTB weltweit, wo in einem Symposium mit eingeladenen Experten und NIH-Vertretern eine Standortbestimmung zur Forschung im Bereich Kinderentwicklung und Tiere vorgenommen wird. Dies bedeutet, dass es nach jahrzehntelanger Pionierarbeit endlich zu nennenswerten Forschungsinitiativen im Bereich der MTB kommen wird.


Alles paletti also? Nicht ganz. Denn die Expertise im Bereich MTB wurde in den letzten Jahrzehnten vor allem in Europa aufgebaut, finanziert v.a. durch den Mars-Konzern. Trotzdem gelang es nicht, europäische Agenturen, wie FWF (Österreich) oder DFG (Deutschland) davon zu überzeugen, die MTB-Forschung in ihren Förderungen zu berücksichtigen. Wir brauchen ganz offenbar wieder mal die Amis, damit sich Good Old Europe in Bewegung setzt. Man wird wieder einmal erst dann aufwachen, wenn in den USA der „bandwagon“ längst rollt. Und es ist ohne Risiko vorhersagbar, dass wir auch diesmal die tollen Ergebnisse preisen werden, die in ein paar Jahren aus den USA auf uns einprasseln werden. Dann werden wir wieder einmal versuchen, zu spät auf einen Zug aufzuspringen, den wir eigentlich (wie so oft zuvor) selbst gestartet haben. Offenbar muss das so sein.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2009)

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