Die Zeichen an der Wand: Brexit Präsidentenwahl, Donald Trump

Verarmende, verzweifelnde Leute wollen, dass sich etwas ändert – und wenn sie sich dazu ins Knie schießen müssen.

Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Siehe Brexit, die heimischen Präsidentenwahlen und die Vorwahlerfolge des Exzentrikers Donald Trump in den USA. Irrationale Politik durch visions- und verantwortungslose Technokraten und die schleichende Entmachtung demokratischer Systeme zeitigen Wahlergebnisse, die noch viel irrationaler sind, als sie eh schon immer waren. Schlimm daran ist nicht etwa, dass das Ergebnis nicht „passt“, sondern dass Zorn, Angst und Enttäuschung, nicht aber Weltanschauung und sachliche Überlegungen das Abstimmungsverhalten dominieren. Verzweifelnde Leute wollen, dass sich etwas ändert – und wenn sie sich dazu ins Knie schießen müssen.

Trotz großer Unterschiede im Detail liegt der gemeinsame Nenner der genannten Beispiele im gesellschaftlich-materiellen Absandeln der westlichen Demokratien. Die Unternehmen machen Gewinne, dennoch stagnieren nicht nur in Europa schon viel zu lange die Einkommen. Der staatstragende und -erhaltende Mittelstand blutet materiell und ideell aus und muss zusehen, wie wenige Reiche immer reicher werden. Wen wundert es, dass eine verarmende, entmachtete und bürokratisch bevormundete Bürgerschaft mittels irrationalem Wahlverhalten um sich zu schlagen beginnt. Die Ergebnisse – von den Philippinen bis zum Brexit-Referendum – sind letztlich Ausdruck stark polarisierter Gesellschaften.

Wahlen sind heute zum Match von Eliten und Experten gegen den Mob, von Wissen gegen Facebook, von Ratio gegen Emotion, von Stadt gegen Land, von Jung gegen Alt verkommen. So bedeutet der Brexit vor allem, dass die Älteren die Interessen der Jüngeren vom Tisch wischten – aus rein dumpf-nationalistischen Motiven. Die Bedeutung dieser Wahl ist daher zu relativieren: Die Alten haben nicht einmal in einer Demokratie das Recht, die Zukunft der Jungen zu blockieren.

Bis zum Erbrechen wurde bereits wiederholt, was es braucht, um den Leuten endlich wieder zu ermöglichen, demokratisch-rational abzustimmen: eine berechenbare und dennoch visionäre, reformorientierte und mutige Politik der Hoffnung. Wir brauchen keine Politik gegen etwas, sondern für Vertrauen in die Zukunft. Es braucht sofortige Strukturreformen, die den Fokus der Demokratien vom Bewahren und den Interessen der Alten und Reichen auf Entwicklung und Zukunft umstellt. Es braucht dringend grundlegende Reformen der Verwaltungs-, Pensions- und Gesundheitssysteme, um Börsel und Geist auf Investitionen in die Zukunft zu trimmen, in Bildung, Forschung und gesellschaftliche Entwicklung.

Es braucht aber auch dringend die Pflege demokratischer Einstellungen, des Grundkonsens in der Gesellschaft mittels einer Beteiligung der Bürger am wirtschaftlichen Erfolg. Verarmende, verängstigte Menschen sind für EU und Zukunft nicht zu begeistern. Es braucht dringend eine steuerliche Entlastung von Arbeit, es braucht Wertschöpfungsabgaben ebenso wie einen viel größeren Beitrag der Finanzwirtschaft, wollen wir das völlige Zerbröseln von Gesellschaft und Demokratie weltweit verhindern. Brexit, heimische Protestwahlen und Trump sind starke Zeichen an der Wand.

P.S.: Eigentlich wollte ich heute über die unerfreulichen Auswirkungen der Brexit-Abstimmung auf die europäische Wissenschaft schreiben. Dann aber übermannte mich offenbar der staatsbürgerliche Zorn – hoffentlich in einem rationalen Rahmen.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2016)

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