Was die Schule leisten kann und was man von ihr haben will

Es scheint, als hätten wir in dem Blick auf die Schule die Aufklärung auf den Lippen, aber die Koranschule im Kopf.

Zu spät und zu wenig tief gehend packt die Bundesregierung die überfälligen Reformen im Schul- und Bildungsbereich an; halt nur das, was in unserem versteinerten politischen System eben gerade noch geht. Dennoch: Nicht nur ich habe es satt, dass die braven Bürger – einschließlich Politikern und Journalisten – mit nackten Fingern auf die Frau Minister zeigen, während sie selbst eine recht eigenartige Sicht von Schule vertreten. Im Wesentlichen will man alle Probleme einer zerbröselnden Gesellschaft auf die Schule schieben, was nicht nur die Lehrenden verunsichert. So muss die Schule zunehmend die Erziehung für unfähige Eltern und die Integrationsarbeit für einen notorisch überforderten Staat übernehmen. Möglichst zum Nulltarif, versteht sich!

Was aber sollte Schule im Idealfall leisten? Wissen und Erfahrung zeigen, dass sie jene Freiräume zu bieten hat, die durch ständiges Feedback zwischen Lehrern und Schülern den Erwerb der Grundfertigkeiten Lesen, Schreiben, Rechnen und eine angemessene humanistische Bildung ermöglichen. Im Zeitalter der Naturwissenschaften müssen diese natürlich den Themenkanon anführen. Da aber letztlich alle Probleme vom menschlichen Sozialverhalten verursacht werden, kann man diese nicht nur technologisch lösen. Schule muss daher vor allem auch die soziale Kompetenz betonen, etwa über musisch-kreative Inhalte und körperliche Bewegung, die bildungsphysiologisch essenziell ist, was gern vergessen wird.

Was will man hierzulande wirklich von „der Schule“? Der auf Bildungsfragen spezialisierte Ernst Smole vom internationalen Forum für Kunst, Bildung und Wissenschaft hat informell die gesellschaftliche Wichtigkeit der Unterrichtsgegenstände nach der Häufigkeit ihrer Nennung in Medien, Politik und in den unzähligen Bildungsreformarbeitskreisen von Regierung, Sozialpartnern, Nichtregierungsorganisationen etc. erhoben. Was ist den vielen Köchen aus allen Kreisen der Gesellschaft wichtig?

Sehr häufig genannt wurden die klassischen Gegenstände Lesen, Rechnen und Schreiben. Wenigstens ist man sich darin einig, dass die Alphabetisierung Österreichs voranzutreiben ist. Häufig genannt wurden Religion (!) und Ethik, Deutsch als Fremdsprache und digitale Bildung.

Vor allem vor Wahlen kamen regelmäßig politische Bildung, Geschichte und Fremdsprachen vor. Na immerhin! Seltener – etwa im Zusammenhang mit den regelmäßigen Olympiadebakeln – wurden Turnen und rund um große Konkurse auch Wirtschaft oder Geografie genannt. Sehr selten schienen Bildnerische Erziehung, Musik, Werken, Latein/Griechisch und Physik auf. So gut wie nie aber fielen außer in persönlichen Gesprächen die Begriffe Biologie, Chemie, Philosophie. Nicht einmal die Kolumnen verfassenden Philosophen schreiben über den Philosophieunterricht! Auch Mathematik kam im Gegensatz zum Rechnen so gut wie nie vor. Kurios, denn immerhin verursacht sie mehr als 70 Prozent aller Nachhilfekosten und den Gutteil der Schulangst bei Schülern und Lehrenden.

So schaut's also im Lande Herzmanovsky-Orlandos aus! Glaube und Ethik kommen weit vor Wirtschaft oder gar Wissenschaft. Es scheint, als hätte unsere Gesellschaft in ihrem Blick auf die Schule die Aufklärung auf ihren christlichen Lippen, aber das Schema der Koranschule im kleinmütigen Kopf. Höchste Zeit, dass man der Schule endlich jene Rationalität entgegenbringt, die man zu Recht von der Schulpolitik und den Unterrichtenden erwartet.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.