Die Jagd zwischen hohem Ideal und ihren tiefen Wirklichkeiten

Alle Ehre der Jagd, aber Schande den Praktiken, die Ökologie, Artenschutz und gesellschaftlichen Konsens verhöhnen.

Es ist Herbst und das Hirschragout in aller Munde. Gut so, denn professionell erlegt, zählt Wild allemal zu den ethisch weniger bedenklichen Fleischarten. Jagen gehört ebenso zur Natur des Menschen wie seine Sprache. Was aber noch lang kein Grund ist, die Jagd generell schönzuschreiben. Beispielsweise sind die Bären und Wölfe in Österreich nicht einfach ausgestorben, wie selbst in österreichischen Qualitätszeitungen zu lesen ist, sie wurden aktiv ausgerottet und werden an der Wiederkehr gehindert.

Wäre die Jagd bloß Liebe zur Natur, das Hegen und Regulieren von Wildbeständen, die Förderung von Biodiversität – wer könnte sie dann nicht achten? Natürlich wird dabei auch getötet. Aber solange Millionen von Tieren in Intensivhaltungen vegetieren, um unseren unreflektierten Fleischhunger billig zu befriedigen, sollte man nicht mit dem Moralfinger auf die Jäger zeigen.

Leider aber passieren im Dunstkreis der Jagd regelmäßig schiere Blödheiten und Untaten. Die lange Liste reicht vom Aussetzen nachgezüchteter Fasane, um sie wenig später abzuschießen, bis zu den noch nicht lang zurückliegenden Abschüssen dreier Luchse im Nationalpark Kalkalpen. In den örtlichen Wirtshäusern feierte man anschließend den „Sieg“, während die Mehrheit im Lande entsetzt war. Schließlich wurde die Frau eines Jägers, selber Jägerin, milde verurteilt. Und es ist auch noch nicht lang her, dass man im Burgenland drei Dutzend abgeschossene Weihen fand. Nichts als sinn- und hirnlose Naturvernichtung! Immer noch werden hierzulande massiv Greifvögel abgeschossen und so mancher Bartgeier oder Kaiseradler überlebt das Naschen von einem mit Karbofuran vergifteten Kadaver nicht. Immer noch sterben Vögel an Bleivergiftung, weil sie Schrotkörner mit der Nahrung aufnehmen.

Die Eliten der Jägerschaft geben sich korrekt. Wie aber soll man ambivalente Aussagen im inneren Kreis werten, Jäger wüssten schon, wie im Fall der Bären und Wölfe zu verfahren sei? Aufforderung zu gesetzeskonformem Handeln oder Einladung zur dunklen Kreativität im Sinn der „drei S“ – Schießen, Schaufeln, Schweigen?

Tatsächlich „verdunsten“ seit vielen Jahren die einwandernden Bären und Wölfe spurlos. Als letztem Land in Mitteleuropa bildete sich in Österreich heuer zwar das erste Wolfsrudel, auf dem Truppenübungsplatz in Allensteig. (Es ist auch nicht gerade ein Ruhmesblatt für die heimische Jagd, dass die Wölfe dazu den Schutz des Bundesheeres brauchten.)

Jäger fühlen sich kritisiert, unter Rechtfertigungsdruck und wenig geliebt. Aber die schwarzen Schafe werden aus Korpsgeist gedeckt. Nur in besonders dreisten Fällen gelingt es, Untaten nachzuweisen, wie etwa im Fall der Luchsjägerin. Die immer noch verbreitete Einstellung, man müsse das „Raubzeug“ dezimieren, um das begehrte Niederwild zu schützen (und sich in Folge vielleicht sogar die Niederwildschäden abgelten zu lassen), zeugt weder von Liebe zur Natur noch von ökologischem Wissen. Ist dabei den Jägern eigentlich klar, dass der beste Verbündete zum Schutz des Niederwilds der Wolf wäre?

Die Praxis der Jagd ist immer noch meilenweit entfernt vom angewandten Naturschutz. Alle Ehre der Jagd, aber Schande über jene Praktiken, die Ökologie, Artenschutz und jeglichen gesellschaftlichen Grundkonsens verhöhnen. Sie kann einem leidtun, die edle Jagd. Sie sollte sich vor manchen ihrer eigenen Akteure schützen.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

Emails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2016)

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