Wahlsiege der Faune: Krampus schlägt immer öfter Nikolaus

Zur Enttäuschung vieler haben sich die Demokratien nicht als mit der Vernunft verheiratete Systeme entpuppt.

Erleichterung über die Wahl Alexander Van der Bellens, auch aus der Perspektive der Wissenschaft. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass am Sonntag ein Rechtspopulist fast 50 Prozent der Stimmen einfuhr. Bereits im alten Griechenland triumphierten zumeist Geist und Ratio über Angst und dunkle Triebe. Auch, weil naturgemäß der rationale Apollo, nicht aber der triebhafte Dionysos komplexe Gesellschaften am Funktionieren halten. Zum gestrigen Datum passend, könnte man in Nikolaus den Apollo sehen, im Krampus die Wiedergeburt des Dionysos.

Verstand schlägt gewöhnlich Trieb, der Nikolaus den Krampus. Im Fall unserer Präsidentenwahl siegte der Optimismus über die Angst – und das ist gut so. Aber auch ein wenig langweilig. Sozietäten und Staaten wurzeln im Respekt vor dem Sollen, aber das Sein, also die Gesamtheit unserer triebhaften Bedürfnisse, sorgt allemal für die Würze. Zumindest bei vielen Männern, während Frauen vergleichsweise an deren Berechenbarkeit interessiert sind, und daher die Liebe der Männer für das Sollen und für den Geist befeuern; außer in den gewissen Momenten. Bei dieser Wahl schielen bekanntlich vor allem die Männer auf den Dionysos.

Immer schon schufen sich die rationalen Menschen Schlupflöcher ins Tierisch-Triebhafte. Man(n) wird in animistischen Ritualen zum Stier, zum Percht, schlüpft ins Eishockey-Dress. Oder man wählt den Faun und wird so insgeheim ein bisschen zum Werwolf. Man kann sich aber auch janusköpfig von seiner Natur emanzipieren – und so Teil der von den Faunen verachteten, insgeheim aber angehimmelten Eliten werden; Teil jener rationalen Oligarchien, die bisher alle wahren Demokratien regiert haben. Apollo und Nikolaus wähnten die westliche Welt fest in ihrem Griff. Aber still schwoll in den Grotten der Seelen der gehörnte Dionysos, dem Fenriswolf gleich bereit, Apollo in der neuen Götterdämmerung zu stürzen.

Weltweit pfeifen die Wähler auf die rationalen Langweiler und ihre Fakten. Die Wut und die Lust am Zerstören der alten Systeme schlägt die Vernunft, der Krampus im Bauch wählt die Trumps. Jahrtausendelang mühten sich Menschen, vom Natur- und Triebtier zum Geisteswesen zu mutieren. Doch Apollos Tünche bleibt dünn. Ein paar Jahre Facebook und Twitter katapultierten uns in eine postfaktische Ära, samt der Befreiung der dunklen Triebe und der Revolution der Faune. Die Clintons, Van der Bellens und Renzis haben die Argumente, aber die Demokratien entpuppten sich zur Kränkung vieler als nicht mit der Vernunft verheiratet.

Demokratisch hievt man immer mehr Dämonen auf die Throne, die Zeit der Narren und der Faschingsprinzen ist angebrochen. Aber auf den Fasching folgt Fastenzeit. Wir wissen nur nicht wann, und wie bitter es werden wird.

Das ist keine wehleidige Anklage gegen die vermeintlich schuldigen, „trumpoid“ wählenden Jünger des Dionysos. Den Vormarsch der Faune befördern mehr als alles andere die arroganten Kasten des Geistes, die gern vergessen, dass Menschensein mehr bedeutet als Ratio. Liegt in der Misere vielleicht die Chance, dass Apollo und Dionysos sich an der Allianz von Nikolaus und Krampus ein Beispiel nehmen? Schließlich braucht das Licht zum Strahlen die Dunkelheit. Nun, man kann sich eben jeden Irrsinn noch irgendwie schönschreiben. Wie lang aber hält eine Welt am Abgrund den Fasching der Faune aus?

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.