Was wir unseren Landschaften heute so alles aufbürden

Die endgültige Domestizierung unserer Natur außerhalb der Nationalparks wird von einer Mehrheit ungerührt hingenommen.

Unlängst durfte ich den herrlichen Blick vom Wiener Leopoldsberg ostwärts genießen. Frei schweift der Blick über die blühenden Kirschbäume bis zum Horizont, wo man Pressburg erahnt. Doch Halt, irgendwas ist anders, seit ich vor 15 Jahren das letzte Mal hier stand; neue Häuser und Straßen würden nicht sonderlich auffallen, aber was ins Auge sticht, sind jede Menge Windräder. Nein, nicht konzentriert auf einem Fleck, sondern über den gesamten Blickwinkel verteilt, und in unterschiedlichen Gruppengrößen. Wäre ich ein Außerirdischer und unterstellte den Menschen rationales Handeln, ich müsste annehmen, sie hätten bewusst Windräder nach dem Zufallsprinzip über die Landschaft verstreut. Aber so ist es nicht. Denn hier waltet teure Behördlichkeit, mit Ansuchen, Genehmigungsprozessen, Förderrichtlinien, Parlamentsdebatten, Umweltverträglichkeitsprüfungen und vielen wichtigen Gemeinde-, Landes- und Bundesbeamten.

Gleichwohl, als Ergebnis ist die Landschaft durchsetzt mit ästhetisch fragwürdigen Vogelklatschen, errichtet mit wohlwollender Zustimmung der Grünen und beinahe aller Parteien. Hauptsache, vor dem Parlament baut man keine. Die als nachhaltige Energiequellen akzeptierten Windräder ragen in den vormals freien Himmel und werden lokal zu Aufregern. „Gott schütze uns vor allem Unbill, besonders dem Windrad neben dem Haus“, tät man wohl heute in Österreichs Kirchen beten, wenn man dort noch beten tät.

Windräder sind ein relativ neues Element der Zersiedelung und der technischen Überformung von Landschaft. Man wird sich wohl resignierend dran gewöhnen, wie weiland an die nun allgegenwärtigen Hochspannungsleitungen.


Als Konrad Lorenz 1973 nach langer Abwesenheit nach Österreich zurückkam, polemisierte er entsetzt gegen die Zerstörung der Landschaft durch wüste Verhüttelung, die in den Wirtschaftswunderjahren eingesetzt hatte. Lorenz warnte, man nickte beifällig und machte weiter. Heute liegt die Baukompetenz immer noch bei den Bürgermeistern, deren Erfolg wird immer noch nach Gemeindewachstum und Betriebsansiedlungen gemessen. Immer weniger Leute verbrauchen immer mehr Fläche, und unser schönes Österreich geht ungebremst vor die Hunde. Heute scheint es kaum mehr jemanden zu stören, dass die letzten Talböden zuwachsen. Eine Mehrheit scheint Natur vor allem dann schön zu finden, wenn auf kurz gemähten alpinen Wiesen subventionierte brauscheckige Kühe und schmucke Häuschen stehen.

Noch im 19.Jahrhundert wurde unberührte Natur als bedrohlich wahrgenommen und musste „gezähmt“ werden, was mittlerweile als gelungen gelten kann. Ein letztes Aufbäumen der Naturromantik gab es wohl im Gefolge von 1968. Für den Rest des Jahrtausends wurde der Schutz unberührter Natur (möglichst weit weg von uns) zum politischen Anliegen.

Im Moment hat man resigniert und sich an die Allgegenwart von Menschen und ihren Bauwerken in nahezu allen Landschaften gewöhnt. Die Klima- und sonstige Katastrophen decken den Natur- und Landschaftsschutz zu und rechtfertigen die Windräder. Die endgültige Domestizierung der Landschaft außerhalb der Nationalparks wird hingenommen. Was übrigens gut zur Saison passt, schließlich ist der Osterhase ja auch ein domestiziertes Karnickel.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2011)

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