„Bestie Mensch“ und „das Böse“: Klingt gut, erklärt aber nichts

Regelmäßig beherrschen Massenmorde die Schlagzeilen. Psychopathen aber wird es in Zukunft leider eher mehr geben.

Kaum flaute der Hype um den Herrenmenschen aus Norwegen ab, schon mordet ein al-Qaida-Fan in Frankreich weiter. Es steht zu befürchten, dass der nächste pseudoideologisch angehauchte Wahnsinnige schon in den Startlöchern scharrt. Trotz Überwachungsstaat und Geheimdiensten.

Nahezu ebenso erschreckend wie die Taten selbst ist allerdings der gesellschaftliche Umgang damit. So schrieb Andreas Schwarz, wohl stellvertretend für viele, im „Kurier“: „Wer gezielt Kinder tötet, kann kein Motiv vorweisen außer das der Bestie im Menschen.“ Stimmt natürlich vor allem im ersten Teil. Jegliche Motivsuche und ideologische Rechtfertigung wäre angesichts solcher Taten absurd.

Gefährlich erkenntnishemmend ist allerdings die Sache mit der „Bestie Mensch“ und dem Gefasel über „das Böse“. Klingt gut, erklärt aber nichts. Denn so abwegig es wäre, rationale Argumente für das Handeln dieser Privatterroristen zu diskutieren, so wichtig ist es, deren Psychologie und Psychophysiologie zu ergründen. Nur dadurch besteht zumindest eine geringe Chance, solche Albträume in Zukunft unwahrscheinlicher zu machen.

Breiviks und Merahs Taten bleiben auch dann grausam, abscheulich und letztlich unverständlich, wenn man den Versuch unternimmt, „das Böse“ zu erklären. Mit Sicherheit kann davon ausgegangen werden, dass es mit dem Einfühlungsvermögen von Leuten nicht weit her sein kann, die sich berufen fühlen, Kinder zu töten. Würden sie sich auch nur für einen Moment in ihre Opfer und deren Angehörige einfühlen, könnten sie ihre Taten nicht ausführen. Abgesehen von geborenen Soziopathen, denen es von klein auf Spaß macht, Tiere und Menschen zu quälen, wird der überwiegende Teil der Menschen mit einer sehr entwicklungsfähigen Empathiefähigkeit geboren.

Frauen zeigen statistisch gesehen mehr Einfühlungsvermögen als Männer, während Letztere mehr als Frauen dazu neigen, Prinzipien über soziales Einfühlen zu stellen und so Grausamkeiten mittels ideologischer Wahnvorstellungen zu rechtfertigen. Breivik und Merah waren Bürger kultivierter, sozial einigermaßen kohäsiver Staaten. Wie andere Amokläufer auch kapselten sie sich allerdings von ihrer menschlichen Umwelt ab und entwickelten ihre Pläne weitgehend isoliert.

Einsamkeit kann gelegentlich sehr erholsam sein, aber auf Dauer ist das menschliche Gehirn ein soziales Organ. Es entwickelt sich in der frühen Kindheit nur in guten Beziehungen optimal und bleibt lebenslang nur in sozialer Einbettung gesund. Letztlich sind Breivik, Merah und Co. Massenmörder mit einem sozial deformierten Gehirn – gleichgültig, wie die psychologische Diagnose im Detail lauten mag. Solche Taten werden niemals völlig zu verhindern sein.Aber mit optimaler Frühbetreuung, der Förderung des sozialen Zusammenhalts in Schulen und Gesellschaft und der proaktiven Integration sich abkapselnder Zeitgenossen wäre schon viel getan.

Die Überalterung wird jedoch andere Prioritäten in den Sozialbudgets erzwingen. Und der Vormarsch prekärer Arbeitsverhältnisse, schleichende Verarmung weiter Teile der Bevölkerung und soziale Desintegration werden in Zukunft eher mehr als weniger Soziopathengehirne produzieren. Sorry für die schlechte Nachricht, aber bekanntlich sind Optimisten meist nur schlecht informiert.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2012)

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