Der Winter geht nur in die Sommerpause: Was Allrad bringt

Winter geht Sommerpause Allrad
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Noch nie gab es so viele Autos mit Allradantrieb. Von Jaguar bis zum kompakten SUV von Opel: 4WD ist in fast allen Klassen zu haben. Aber braucht man das auch?

Winter wie der ausklingende sind erstklassige Advokaten für die Sache des Allradantriebs. Über viele Monate sah man sich den Widrigkeiten von Eis, Matsch und Schnee ausgesetzt – da kann es schnell einen greifbaren Unterschied machen, ob das Auto von vier oder nur zwei Rädern angetrieben wird. Natürlich kann man sich auch mit viel Gefühl aus der verschneiten Parklücke hinausschaukeln, aber mit Allradantrieb reicht es meist, entschlossen aufs Gas zu steigen, und schwupp, draußen ist die Fuhre.

Wie groß der Vorteil ist, den Allrad bietet, hängt allerdings vom Antriebskonzept des Autos ab. Frontantrieb ergibt grundsätzlich das dankbarere Winterauto, denn die Last des Motors verschafft der Vorderachse eine bessere Traktion. Das gelingt mit Heckantrieb nur dem Porsche 911, weil der als Sonderfall den Motor ebenfalls hinten hat.

Mit Heckantrieb kann es auf glatter Straße oder Schneefahrbahn sonst schnell eng werden. Nicht jeder Fahrer ist willens oder in der Lage, die Herausforderung sportlich, vielleicht mit ein paar Drifteinlagen zu nehmen. In genau diese Kerbe schlagen die Neuheiten BMW und Jaguar.

BMW, Jaguar: Sinnvoll, aber mit Haken

Jaguar gilt als klassische Heckantriebsmarke, während das für BMW nicht mehr zutrifft: Der Hersteller verkauft bereits mehr als die Hälfte seiner Autos mit Allrad, im Markensprech xDrive. Erstmals ist der auch für die 1er-Reihe zu haben, wenngleich (vorerst) nur für Randmotorisierungen: für den manuell geschalteten 2,0-Liter-Diesel mit 184PS und den Haudrauf M135i mit 320 PS.

Im getesteten 120d xDrive spürt man wenig von der angetriebenen Vorderachse – und das ganz im Sinn des Erfinders: Ist ausreichend Grip vorhanden, wird nur die Hinterachse angetrieben. Kündigt sich Schlupf an, also beginnendes Durchdrehen eines Rades, schleust eine Lamellenkupplung einen Teil der Antriebskraft zu den Vorderrädern. Dies geschieht in aller Regel schneller, als man etwaigen Traktionsverlust überhaupt spüren kann, und noch bevor das ESP regelnd eingreift. Damit findet die Power des 120d ungerührt von Schnee oder Matsch auf die Straße – der Heckantrieb, fahrdynamisches Asset der Baureihe, wäre in kritischen Situationen damit wirkungsvoll entschärft. Das passt gut zum 1er, der charakterlich insgesamt sehr erwachsen wirkt, so wie früher der 3er. Mehrverbrauch: maximal 0,4 Liter/100 km – das lässt sich über die Fahrweise kompensieren. Es bleibt somit lediglich der Makel der relativ starken Motorisierung.

Schwenk zu Jaguar: Den Ausschlag, die Limousine XF und das Flaggschiff XJ mit Allrad auszustatten, haben nicht etwa Wünsche aus Alpenländern gegeben. Es waren US-Händler, die den Hersteller gedrängt haben. Vor allem im Norden der USA und in Kanada werden heute bis zu zwei Drittel aller Luxuslimousinen mit Allradantrieb verkauft. Man bedenke, dass in den Staaten nur knapp über 30 Prozent der Straßen asphaltiert sind und die Schneeräumung aufgrund der großen Entfernungen nie ein Niveau wie in Mitteleuropa erreichen kann.

Das erklärt, warum das AWD-Angebot auf den 340 PS starken Benzinmotor beschränkt ist, wo bei uns doch ganz klar der Diesel die Verkäufe dominiert. Als kleiner Hersteller braucht Jaguar einen soliden Business Case, bevor man das Projekt AWD für Diesel (und Kombi!) in Angriff nimmt.

Das System zeigt sich in unserem Test auf Schneefahrbahn jedenfalls überzeugend. Der Jaguar bleibt zunächst auch als Allradler ein Auto mit Heckantrieb, sobald es die Situation – erkannt über ESP-Sensoren – aber verlangt, gelangen bis zu zehn Prozent Antriebsmoment an die Vorderräder, was meist ausreicht, um auf Schnee oder bei Glätte die Spur zu halten oder sich überhaupt erst in Bewegung zu setzen. Klarer Fall für Allrad also, jedoch werden sich in unseren Breiten trotzdem nicht viele über einen 340-PS-Benziner trauen.

Mini und SUV – das klingt immer noch wie ein Widerspruch. Der Countryman schlägt sich seit 2010 aber erfolgreich auf dem Markt. Wie grundsätzlich bei Mini hat das kompakte SUV Frontantrieb, damit ist man an sich (und natürlich mit guten Winterreifen) auch in strengeren Wintern ausreichend ausgerüstet, zumal der Countryman ja keine kleinen Räder trägt.

Mini mit Maxipreis

Allrad (vulgo „All4“) dient beim Mini eher der totalen Sorglosigkeit bei allen Straßenbedingungen, denn für echte Geländeeinsätze ist das Auto weder gedacht noch gerüstet. Im Fall des John Cooper Works kommt allerdings eine Komponente dazu: relativ viel Motorleistung. Der 1,6-Liter-Turbobenziner setzt im JCW-Trimm 218 PS frei, da kann es nicht schaden, wenn die zweite Achse mithilft, das auf die glatte Straße zu bringen. Traktion: hervorragend.

Zum Fürchten allerdings der Preis: Mit Automatik kommt der 218-PS-Allrad-Countryman auf über 40.000 Euro, eine Handvoll Extras treibt ihn gefährlich nah an die 50.000-Euro-Grenze. Das ergibt zwar ein äußerst kurzweiliges Fahrerlebnis mit hohem Publikumseffekt durch jede Menge Spoilerschmuck, entspricht aber kaum der einst minimalistischen Philosophie der Marke. Verdikt: originell, aber keine sehr wahrscheinliche Variante auf unseren Straßen.

Wesentlich näher am Volk gibt sich Opel mit dem Mokka. Das kompakte SUV – eine derzeit besonders hoch im Kurs stehende Gattung – bietet Allradantrieb für den Diesel (130 PS) und den stärkeren der beiden Benziner. Der 1.4 Turbo ist auch klar der Empfehlenswerte, weil er sich mit weniger Hubraum, dafür aber Turbo spritziger fährt und zudem einen Hauch weniger verbraucht.

Kein Mokka im Gelände

Allradantrieb ist im Mokka sonst kein Muss, weil er mit Frontantrieb und guter Bodenfreiheit den meisten winterlichen Situationen gewachsen ist. Wie fast alle anderen Kompakt-SUVs wird er sich nie ins gröbere Gelände verirren. 4x4 ist eher als eiserne Reserve zu sehen; ein paar Mal im Jahr mag man seine Freude daran haben, besser zu spuren als andere. Im Normalfall treibt das System ohnehin nur die Vorderräder an. Für knifflige Passagen, etwa extremes Gefälle, lässt sich eine Bergabfahrhilfe aktivieren, die das Auto auf Knopfdruck elektronisch geregelt sicher hinuntergeleitet.

Der Mokka ist allerdings kein wirklich leichtfüßiges Auto, und Allrad bringt zusätzliches Gewicht an Bord. Am liebsten wäre uns der Mokka mit dem netten Turbo-Benziner und ohne Allrad – aber diese Option ist derweil nicht zu haben.

Auf einen Blick

Jaguar XF und XJ AWD
Erstmalig bietet Jaguar die großen Limousinen XF und XJ mit Allradantrieb an. Die Option ist auf den Kompressor-Benziner beschränkt. Nicht zu haben ist Allrad bis auf Weiteres für den XF Sportbrake (Kombi).

Motor: V6-Ottomotor, Kompressor, 2995 cm. 340 PS, 450 Nm. Achtgangautomatik. Normverbrauch 9,8 l/100 km (XJ: 9,9 l).
CO: 229 g/km (XJ: 234 g/km).

Preis: XF ab 63.300 Euro. XJ ab 109.670 Euro.

Auf einen Blick und so weiter

Mini Countryman JCW All4

Maße: L/B/H 4133/1789/1549 mm. Radstand 2596 mm. Leergewicht 1430–1505 kg. Ladevolumen 350–1170 l.

Motor: R4-Zylinder-Otto, 1598 cm, Turbo. 218 PS, 280Nm. 0–100 km/h in 7,0sec.
Testverbrauch: 8,6 l/100km.
CO: 184 g/km lt. Norm.

Preis: ab 41.159 Euro

BMW 120d xDrive

Maße: L/B/H 4324/1765/1421 mm. Radstand 2690 mm. Leergewicht 1425/1500 kg. Ladevolumen 360-1200 l.

Motor: R4-Zylinder-Diesel, 1995 cm, Turbo. 184 PS, 380 Nm. 0–100 km/h in 7,2 sec.
Testverbrauch: 6,6 l/100km.
CO: 126 g/km lt. Norm.

Preis: ab 34.390 Euro (Ö-Pak.)

Opel Mokka 1.4 Turbo 4x4

Maße: L/B/H 4278/1777/1657 mm. Radstand 2555 mm. Leergewicht 1510 kg.
Ladevolumen 356-1372 l.

Motor: R4-Zylinder-Otto, 1364cm, Turbo. 140 PS, 200 Nm. 0–100 km/h in 9,9 sec.
Testverbrauch: 7,8 l/100km.
CO: 149 g/km lt. Norm.

Preis: ab 22.290 Euro (Aktion)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2013)

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