Mythos GTI: Es war einmal ein Bürgerschreck

Mythos einmal Buergerschreck
Mythos einmal Buergerschreck(c) Clemens Fabry
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Die drei Buchstaben haben ihren Ruch verloren: Der GTI ist im Herzen unserer Leistungsgesellschaft angekommen. Dabei handelt es sich bei der neuen Generation wohl um die beste seit dem Ur-GTI von 1976.

Nichts bringt besser auf den Punkt, was der Ur-GTI war, als das Bild vom Fabriksarbeiter, der beim Verlassen des Werksgeländes den dicken Chef-Mercedes vor der Ausfahrt noch schnell überholt – weil er im flinkeren Auto sitzt.

Das hatte etwas von einem proletarischen Aufbruch. Denn wer wirklich Geld hatte, blickte auf das verdächtig leistbare und sparsame Auto herab – suchte, im teuren Sportwagen sitzend, aber sicherheitshalber den Rückspiegel ab, um nicht im falschen Augenblick von einem GTI erwischt zu werden. Der Kleine war schneller als mancher Held des Autoquartetts.

Mit seinen 110 PS bei unter 1000kg Gewicht war der erste GTI im Jahr 1976 eine Sensation. Seine Leistung holte der 1,6-Liter-Motor hauptsächlich von einer neuartigen, mechanischen Kraftstoffeinspritzung von Bosch – in Zeiten der Vergasermotoren eine beachtenswerte Einrichtung.

So kam auch das Kürzel auf die Welt (Gran Turismo für die schnelle Fahrzeugklasse, I für Injection), das flugs für ein ganzes Genre stand. Ungeplant, übrigens: Von dem starken Golf war ursprünglich nur eine Kleinserie von 5000 Stück vorgesehen. Es kam anders: Eine Zeit lang war in Österreich jeder zehnte verkaufte Golf ein GTI. Weltweit hat VW bis heute fast 1,9Millionen verkauft.

Alles ist schnell

Die Bürgerschreckattitüde des Ur-GTI ist der neuen, soeben präsentierten Generation über fast vier Jahrzehnte abhandengekommen. Leistungswille ist heute ein Gemeinplatz. Alles ist schnell. Das Genre der „Hot Hatches“, das vom Golf begründet wurde und das heute kein großer Hersteller auslassen kann, überbietet sich laufend aufs Neue, es geht schon weit über 300 PS.

Da wirkt der neue GTI fast besonnen: Der Zweiliter-Direkteinspritzer mit Turboaufladung leistet 220 PS, eine Performance-Variante gegen geringen Aufpreis 230 PS.

Das stemmen manche Diesel. Und doch haben wir es mit dem wohl besten GTI-Jahrgang seit Bestehen zu tun. Wenn es auch das wirklich freche, quasi subversive Auto nicht mehr gibt (höchstens in Form des Fahrrads mit seiner Überlegenheit in der Stadt), dann kommt der neue GTI immerhin nahe.

Nicht am Limit

Neben kaum erschöpflicher Komfort- und Sicherheitseinrichtung (Müdigkeitserkennung!) bietet er bei passender Gelegenheit erstaunliche Thrills und im Alltag eine schlichte Freude am Autofahren, wie es vielfach bei doppelt so teuren Autos nicht zu bekommen ist. Das liegt auch am Motor. Mag man mit 220 PS nicht mehr hart am Limit mitfiebern (AMG zaubert aktuell 350PS aus einem Mercedes-Zweiliter), so ist es doch eine unerhört greifbare Power, die sich hier lustvoll drehend und angemessen röhrend entfaltet. Zeitgemäß die Verbrauchswerte: Sind die offiziellen 6,0 Liter/100 km freilich ein freundlicher Normwert (Start-Stopp ist Serie), so wird man auch auf schnellen Bergpassagen nicht mehr als neun Liter zusammenbringen – ein imposanter Gegenwert fürs Gebotene.

Einen Großteil der Käufer sieht VW zudem bei der Performance-Variante. Das kann man als Aufflackern der alten Gesinnung werten: Wer beherzt am Volant agiert, kann mit diesem Golf waschechte Sportwagen jagen. Das liegt weniger an den zehn PS extra, sondern an einer neuartigen Differenzialsperre an der Vorderachse mit Torque-Vectoring-Effekt (in der Kurve bekommt das belastbare Rad mehr Drehmoment zugespielt, was den Grip erhöht), auch die größeren Bremsscheiben sind im schnellen Geläuf nicht zu verachten. Selten so viel Spaß gehabt mit einem Auto, das auf der Straße nicht hervorsticht.

Eine Glaubensfrage das Getriebe: Das DSG erfreut mit Automatikkomfort und blitzschnellen Schaltmanövern samt frechem „Spotz“. Authentischer ist es aber immer noch, mit dem Golfball in der Hand höchst eigenmächtig im Getriebe zu rühren.

Auf einen Blick

VW Golf GTI (Option Performance)

Maße: L/B/H: 4268/1799/1442 mm. Radstand: 2631 mm. Gewicht: 1351 kg. Ladevolumen: 380–1270 Liter.

Motor: R4-Zylinder-Turbo, 1984cm. 162 kW (220 PS), 350 Nm. Performance: 169 kW (230 PS). 0–100 in 6,5 sec. (6,4 sec.).
Normverbrauch: 6,0 l/100 km.

Preis ab 31.690 Euro (32.800 Euro).

GTI in sechs Gängen

Der Ur-GTI war 1976 eine Sensation, mit 110 PS schneller als viele Sportwagen, dabei leistbar und umgänglich. Das Kürzel? GT (für Gran Turismo) ist eine schnelle Wagenklasse, I steht für Injection, also Einspritzung (damals noch mechanisch).

Der GTI des Golf II
(ab 1983) war der erfolgreichste Jahrgang in Deutschland, dem größten Markt. In diese Generation fiel das stärkste GTI-Jahr in Österreich: 1986 wurden bei uns 3156 GTI zugelassen.

Das Comeback
nach zwei Golf-Generationen, in denen es keinen echten GTI gab: Mit dem 5er-Golf (ab 2003) kehrte das Label als eigenständiges Modell zurück. Leistung: 200 PS.

Der GTI
war nicht immer der stärkste und teuerste Golf. Im Jahr 2005 war das zum Beispiel der R32 mit 250-PS-V6 und Allrad.

Als Showcar
für das berüchtigte GTI-Treffen am Wörthersee baute VW einen Über-GTI mit 650-PS-Zwölfzylinder und Heckantrieb – dies freilich als Einzelstück.

Der vierte echte GTI
stammte vom Golf VI und hatte 210 PS. Einige Sonderserien („Pirelli“) boten auch mehr Leistung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2013)

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