Von der Heckschleuder zum Schienenfahrzeug

Heckschleuder Schienenfahrzeug
Heckschleuder Schienenfahrzeug(c) beigestellt
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Seit 40 Jahren ist der Turbo der große Star in Porsches 911er-Kosmos. Wenig überraschend ist auch der neue Jahrgang zu einer technischen Standortbestimmung für Sportwagen geworden.

Man kommt im Jubiläumsjahr aus dem Feiern nicht mehr heraus in Stuttgart-Zuffenhausen, Firmensitz der Dr. Ing.h.c. F. Porsche AG. Da gilt es zunächst 50 Jahre 911er abzufeiern, jenes Modell, von seinen Anhängern schlicht „Elfer“ genannt, das nach Ansicht vieler Puristen der einzig wahre Porsche ist. Die Lebensdauer des 911er-Konzepts ist umso bemerkenswerter, als es selbst von seinen Entwicklern bereits mehr als einmal totgesagt wurde. Ein Layout mit Heckmotor ist für einen Sportwagen nun einmal nicht die optimale Lösung – in der Theorie. In der Praxis ist der Elfer dennoch seit einem halben Jahrhundert die Messlatte für sämtliche Mitbewerber.

Das zweite Jubiläum betrifft den Star im Elfer-Kosmos, den Turbo. 1973 wurde die erste Studie – damals noch in der Karosserie eines 911 RS 3.0 – auf der IAA in Frankfurt vorgestellt, ein Jahr später rollte der erste Serienwagen vom Band. Mit 260 PS und einer für damalige Verhältnisse sensationellen Beschleunigung (0–100 in 5,5 sec) galt der 911 Turbo als das Macho-Auto schlechthin. Das verzögerte, dann aber umso brutalere Ansprechen des Laders machte das ohnehin „gewöhnungsbedürftige Fahrverhalten“ (Peter Falk, ehem. Porsche-Rennleiter) des Hecktrieblers nicht unbedingt einfacher, der begnadete Walter Röhrl nannte den 911 Turbo einst eine „wunderbare Herausforderung“, was so viel bedeutet wie „unfahrbar“. Ein netter Marketing-Gag also, dass der allererste 911 Turbo an eine Frau übergeben wurde, nämlich an Louise Piëch, Mutter von Ferdinand.

In zwei Pflöcken auf 100

Nächste Woche wird auf der IAA in Frankfurt die aktuelle Inkarnation des 911 Turbo (Baureihe 991) vorgestellt. Die Entwicklung der vergangenen 40 Jahre ist schon auf dem Papier beeindruckend: doppelte Leistung (520 PS, im Turbo S gar 560 PS) bei halbem Verbrauch (9,7 l/100 km). Aber erst hinterm Steuer erfährt man, was diese Entwicklung tatsächlich bedeutet.

In 3,4 Sekunden ist Tempo 100 erreicht. Das entspricht etwa fünfzig Metern, dem Abstand zwischen zwei Leitpflöcken auf der Autobahn. Die Bremsen halten einem Tag auf der Rennstrecke problemlos stand, bei Serienautos eine Seltenheit. Auch die Hinterräder werden nun mitgelenkt, bis 50 km/h entgegen den Vorderrädern, was die Wendigkeit verbessert, ab 80 km/h mit den Vorderrädern, was die Seitenführungskräfte erhöht. Der Allradantrieb neutralisiert das Fahrverhalten, aus der Heckschleuder von einst ist ein Schienenfahrzeug geworden.

Die schiere Performance dieses Autos, vor allem aber die Mühelosigkeit, sie abzurufen, lassen die Welt draußen wie einen Film erscheinen, der zu schnell abgespielt wird. Mag sein, dass der Turbo nicht mehr die fahrerische Herausforderung von damals darstellt. Und ganz bestimmt sind 190.990 Euro (erst recht 228.690 Euro für den „S“) ein mehr als üppiger Preis, selbst für einen Sportwagen, der eine technische Standortbestimmung des Jahres 2013 darstellt. Man wird aber derzeit kein schnelleres Fahrzeug für öffentliche Straßen finden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2013)

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