Tesla: Zur Not auch Frühstück bei Burger King

(c) Henke
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Die faszinierendste Oberklasse-Limousine dieser Tage kommt nicht aus München, Ingolstadt oder Stuttgart, sondern aus Palo Alto in Kalifornien. Das liegt auch, aber eben nicht nur am Elektroantrieb des Tesla Model S.

Die Frage trifft uns auf dem falschen Fuß. Wie schnell er denn sei? Keine Ahnung! Die Höchstgeschwindigkeit ist so ziemlich das Letzte, was uns in diesem schillernden Fahrzeug beschäftigt. Nicht, dass der Tesla S untermotorisiert wäre. Geradezu im Gegenteil. In Variante P85 (P für Performance, 85 für die Ladekapazität in Kilowattstunden) strotzt das Auto nur so vor Kraft. Der Elektromotor an der Hinterachse leistet maximal 421 PS, und die 600 Newtonmeter Drehmoment fallen ein wie ein Cobra-Kommando durch die Balkontür. Wie es für Elektromotoren typisch ist, steht der volle Hebel ab Drehzahl null zum freien Gebrauch, damit hängt das Auto am Pedal, wie wir es von kaum einem Sportwagen kennen. Auf dem Datenblatt rangiert der Tesla gleichauf mit dem Porsche 911 S, was den Sprint von 0 auf 100 km/h angeht: viereinhalb Sekunden!

Der Punkt ist aber, dass wir Ausflüge in die Tiefe des Gaspedals (lassen wir die unzutreffende Bezeichnung) eher selten unternahmen. Wir haben bei unseren Fahrten die Überholspur gemieden und uns fast peinlich genau an die Tempolimits gehalten, was bedeutet, dass man eigentlich ständig überholt wird. Von Autos, um die man Kreise fahren könnte. Man wundert sich, warum es alle so eilig haben. Das ist nicht unbedingt die Art, wie wir einen 911er fahren.

Über 500 Kilometer

Zum einen liegt der Grund für unseren Fahrlehrerstil an früheren Erfahrungen mit E-Autos. Speziell die Reichweitenanzeige erwies sich gern als trügerisch. Die verbleibenden Kilometer schmolzen nur so dahin, wenn es kalt war, länger bergauf ging oder man es angesichts beschlagener Scheiben doch wagte, die Klimatisierung zu aktivieren. Und wer schon voll geladen mit nur 140 km Radius startet, wie das beim ersten namhaften E-Auto (Mitsubishi i-MiEV und dessen Derivate) vor gar nicht langer Zeit der Fall war, lernt schnell, was der Begriff Range Anxiety bezeichnet: Reichweitenangst, chronische.

Das Model S bunkert aber gewaltige 85 Kilowattstunden in den Lithium-Ionen-Akkus, die praktisch den Fahrzeugboden bilden, daraus ergibt sich eine Reichweite nach NEFZ von 503 km. Die ist genauso unrealistisch wie für alle anderen Autos (was insbesonders für den Schadstoffausstoß von Dieselautos gilt), aber 400 km sind eine sichere Bank, wenn man den Stecker aus dem in die hintere Leuchte integrierten Charge Port nimmt. Zudem hat man bald registriert, dass die algorithmische Reichweitenanzeige zuverlässig ist und keine launigen Sprünge macht. Mit mehreren hundert Kilometern zu fahren und einem Plan zum Aufladen – was hindert einen, ständig auf die Tube zu drücken und sich zu weiden an diesem sagenhaften Schub, lautlos und elastisch? (In unsrem Fall vielleicht das leider miese Frühstück bei Burger King. Mangels eigener Ladesäule nutzten wir bei Kaffee und Ham and Eggs den Herzeige-Charger einer Filiale: In 40 Minuten sind wieder 120 km in den Akkus.)

Was den Respekt vor der Energiemenge angeht, die beim Autofahren verheizt wird, waren die frühen Elektroautos strenge Lehrer. Wer sich spielte, drohte stehen zu bleiben, bevor das Ziel erreicht war. Die Gefahr hat Tesla weitgehend gebannt, doch wie mit der gespeicherten Energie umgegangen wird, obliegt dem Fahrer. Wer auf die Überholspur beharrt und an jeder Ampel der Erste sein muss, sitzt hier wohl nicht im richtigen Auto. Warum allerdings ist es dann so munitioniert? Zum Charme des E-Motors gehört, dass er nur so viel verbraucht, wie ihm tatsächlich Leistung abverlangt wird – ein großer Unterschied zum Verbrennungsmotor, der mit mehr Leistung auch mehr Grundumsatz hat.

Das wirklich Erstaunliche am Tesla ist aber, was wir schon bei ersten Testfahrten vor einem Jahr feststellten und nun eingehend vertiefen konnten: dass das Model S nicht nur als Elektroauto überragend ist. Es muss der deutschen Autobauer-Elite wie ein Schock eingefahren sein.

Wo anfangen? Die smarte Lösung der versenkten Türgriffe – schmeichelnd für den Besitzer, wie sie beim Annähern an das Auto ausfahren, vor allem aber hilfreich für die Aerodynamik. Das Bordsystem verheddert sich nicht in der eigenen Komplexität – kein Wunder, dass die aktuelle S-Klasse teilweise autonom fahren kann: Der Fahrer hat ja keinen Blick für die Straße, weil er gerade im Untermenü „Hot Stone Massage“ steckt. Das strikt angewandte Prinzip des Tablet-Computers mit riesigem Touch-screen (zweimal das iPad) im Model S dagegen: auch nicht das letzte Wort, aber momentan das überlegene Oberklasse-Bordsystem.

Das Fahrgefühl? Erstklassig. Die schweren Akkus sind in der Bodenplatte verbaut, was den Schwerpunkt absenkt, darauf steht eine Rohkarosserie aus Aluminium. Das Gewicht, das sich im Rahmen der Oberklasse bewegt, stellt reichlich Traktion her. Zielgenaues Vom-Gas-Gehen, was das Bremsen weitgehend ersetzt: schön, dass diese Energie nicht von Bremsscheiben vernichtet wird. Im Tesla kommt die aktive Luftfederung von Mercedes (System Airmatic) zum Einsatz; von den Deutschen, die sich schlauerweise an Tesla beteiligt haben, stammen auch die Armaturen an der Lenksäule. S-Klasse-Fahrern wird das vertraut vorkommen.

Die verschwenderischen Platzverhältnisse an Bord – kein störender Mitteltunnel, dafür Laderaum vorn und hinten, weil nirgendwo ein Monstrum von Motor mit allen Nebenaggregaten untergebracht werden muss. Und was die Geschmeidigkeit, Kraft und Effizienz des Antriebs angeht – wer wollte sich mit dem Elektromotor messen? Ein Diesel etwa? Die chemischen Kleinfabriken an Bord, notwendig, um mit den Abgasen die gesetzlichen Bestimmungen zu erfüllen, die Zentner Dämmung, um das Geräusch erträglich zu machen – das ist längst kein Fortschritt mehr, das ist Schadensbegrenzung. Niemand in Asien oder den USA will davon etwas wissen.

Was Audi, BMW und Mercedes bleibt, wenn man es dramatisch sehen will, ist ein Zeitfenster. Es wird bestimmt von Fortschritten in der Akku-Technik, vom Ausbau der Ladeinfrastrukur, die Tesla übrigens nicht nur in China voranpeitscht, vor allem aber von den Konsumenten, die vermutlich noch länger auf ihren Gewohnheiten beharren. Beneidenswert, wer früher umsteigen kann. Übrigens: Er geht 210, wem das wichtig ist.

Tesla Model S P85

Maße. L/B/H: 4970/1964/1445 mm.
Radstand:2960 mm.
Leergewicht:2100 kg.
Ladevolumen: max. 1800 Liter. Heckantrieb, Ein-Gang-Getriebe.
Motor. Vierpoliger Dreiphasenwechselstrom-Induktionsmotor.
Leistung: 310 kW (421 PS), 600 Nm bei 0–5300/min. Lithium-Ionen-Batterie mit 85 kWh Kapazität. 0–100 km/h in 4,4 sec, Vmax: 210 km/h. Testverbrauch: 23,1 kWh/100 km.
Preisab 87.700 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2014)

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