Alfa Romeo Giulia: Spät, aber wie neugeboren

New Alfa Romeo ´Giulia´ car is seen during the launch in Milan
New Alfa Romeo ´Giulia´ car is seen during the launch in Milan(c) REUTERS (HANDOUT)
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Giulia erlöst die Alfa-Romeo-Gemeinde: Die richtige(n) angetriebene(n) Achse(n), ordentliche Motoren und das passende Aussehen dazu.

Arese/Mailand. Es war einfach alles so, wie es sein musste. Der Spannungsaufbau der vergangenen Monate. Die eherne Omertà, das Schweigen zu allen möglichen Details. Nicht die verschwommenste „Erlkönig“-Aufnahme, die vorab im Netz kursiert. Das alles entlädt sich an einem einzigen Abend, als am vergangenen Mittwoch, exakt zum 105. Geburtstag der Marke, Alfas neue Giulia endlich enthüllt wird. Umgeben vom herrlichen Edelblech vergangener Jahrzehnte im Museum von Arese. Andrea Bocelli singt dazu live „Nessun Dorma“ aus „Turandot“. Wer da keine Gänsehaut bekommt, hat kein Herz in seiner Brust. Die Welt, zumindest die italienische, feiert. Und was im Programm nicht vorkommt, inszeniert sie spontan dazu. Etwa das aufrechte Häuflein gegen die Fiat-Organisation demonstrierender Fans vor den Toren. Oder die souveräne Wachmannschaft, die am liebsten alle Gäste einer Leibesvisitation unterziehen möchte. Arme Deutsche. Was könnten Sie dagegen auffahren? Heino, der einem Audi „Blau blüht der Enzian“ singt. Mancher Schmerz bleibt besser lautlos.

Schön, stark ...und laut

„Ist Liebe ein zartes Ding?“ fragt Romeo bei Shakespeare im ersten Akt. Vielleicht. Seine neue Giulia ist es jedenfalls nicht. Sie ist wohlproportioniert, aber so muskulös, als könnte ihre Karosserie die Kraft kaum drinnenhalten. Das Design zitiert das volle Vokabular von Premium-Sportlichkeit: Scharf gezeichnete Front, auffällig strukturierte Motorhaube, massive Schweller, Spannungsaufbau nach hinten an der Flanke, keckes Heck im Dienst der Aerodynamik, wilder Diffusor an der hinteren Schürze, aus der vier die frohe Botschaft verkündende Endrohre schauen. Wenn die sprechen, schläft garantiert niemand mehr, auch ohne „Turandot“. Die akustische Demonstration erntet Standing Ovations im Saal.

Was an diesem Abend präsentiert wurde, war das künftige Topmodell – mit dem will Alfa aufzeigen: Die Zeit, als die eigene Sportlichkeit gegenüber dem Mitbewerb circa 200 PS Defizit hatte, ist vorüber. Die Über-Giulia klotzt mit 510 PS und sprintet in 3,9 Sekunden auf den ersten Hunderter. Schlechte Nachrichten für praktisch alles, wo AMG, RS oder M draufsteht. Das wird wohl nicht lange so bleiben – im fröhlichen Wettrüsten der Kraftlackeln spielt von jetzt an eben auch Mailand mit. Hinter den Brachialdaten steht technische Feinkost: Der üppige Einsatz von Karbon und Aluminium bei Karosserie, Fahrwerk und Antrieb etwa. Oder ein mit Formel-1-Know-how geschärfter V6-Biturbo. Und Allrad mit hochgezüchteter Traktionskontrolle.

Ein Neubeginn für Alfa

Die Serien-Giulia wird es profaner geben müssen. Als Basis-Benziner bietet sich der 1,4-Liter-Turbo mit maximal 170 PS an, die Dieselpalette wird wohl mit dem Zwei-Liter zu 140 PS beginnen. Heckantrieb ist Standard, Allradantrieb optional und die Hoffnung auf einen Einstiegspreis unter 30.000 Euro vorerst aufrecht. Das sportliche Layout innen werden alle Giulias haben: Die zwei historisch korrekten Alfa-Stanitzeln, in denen Tacho und Drehzahlmesser wohnen, die Konsole dem Fahrer zugewandt, Klima- und Belüftung analog mit Reglern, alles andere mittels Drehknopf-Steuerung digital im Menü auf dem Bildschirm. Der sitzt formschön unter der von den Instrumenten zur Mitte gezogenen Abdeckung. Vermutlich nur bei der passenden Motorisierung gibt's den feuerroten Startknopf auf dem Lenkrad – ebenfalls eine F1-Anleihe – und den um die Abstimmung „Race“ erweiterten, bereits Alfa-typischen DNA-Regler für die Fahrmodi.

Giulia trägt jedenfalls alles in sich, um eine erfolgreiche Zukunft zu haben. Wenn ihr die etwas schwer macht, dann die Vergangenheit. Alfa Romeos ehemalige Mittelklasse-Klientel ist längst fahnenflüchtig. Die vier bis acht Jahre seit den Vorgängerinnen 159 und 166 hätten einige gerne durchgehalten – bis die Firma dazwischen auch noch den Ersatzteilhahn zugedreht hat.

Die Marke muss mit ihrer Giulia in einer schwierigen Zeit bei null beginnen. Leicht wird das nicht – selbst, wenn bei Alfa von jetzt an wirklich keiner mehr schläft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2015)

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