Renault: Zurück ins Glück

Feiner Komfort statt Leistungseskalation, zeitgemäß: Renault Talisman.
Feiner Komfort statt Leistungseskalation, zeitgemäß: Renault Talisman.(c) Werk
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Entspannte Noblesse, von Renault neu entdeckt: Wer dafür empfänglich ist, dem kann der Talisman tatsächlich Gutes bringen.

Schon der Türgriff bemüht sich, seine Aufgabe möglichst elegant und sanft zu erfüllen – kein Rucken, kein unappetitliches Entriegelungsgeräusch. Der Sitzbutler fährt den Nappaledersessel bemüht zurück, nach dem Platznehmen wieder nach vorn, die Bildschirme zeigen eine diskrete Begrüßungsformel. Dann Startknopf mit Softtouch-Anmutung – Motorengeräusche bitte draußen bleiben. Das System fragt höflich nach, ob die letzte Fahrmoduswahl beibehalten werden soll – oder ist doch die Rückkehr in die Basiseinstellung gewünscht? Es scheint, als hätte Renault in seinem neuen Flaggschiff Talisman nichts unbedacht belassen, um ein komfortables Wohlfühlambiente zu schaffen. Aber ist die obere Mittelklasse nicht deutsches Kernland? In der Kompetenz – und den Verkaufszahlen sowieso? Ja, ja und ja. Aber Frankreich sollte da schon aus historischen Gründen ein Wörtchen mitreden – hat es doch lange Tradion darin, die Passagiere seiner Pkw entspannter und unaufdringlicher als üblich zu transportieren. Der Talisman holt den von der deutschen Brachial-Eleganz gelangweilten Connaisseur dort ab, wo ihn der ohne Erben verschiedene Citroën C6 vor drei Jahren hat stehen lassen. Und ja, im Segment der oberen Mittelklasse hat Renault sich zuletzt schwer- und uns nicht viel Gutes getan: Der brave Laguna entschlief 2011 eher glücklos, der folgende Beute-Samsung Latitude tat beim Anschauen schon fast so weh wie das Fahren mit ihm.

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Freudig wedeln

Der Talisman will das wieder gutmachen und hat alles dabei, damit es gelingen kann. Er findet seine feine, kleine Nische dort, wo eskalierende Motorleistung ebenso deplatziert ist wie Allradverführung. Technisch fährt er dafür Vierradlenkung auf, die den immerhin 4,9 Meter langen Lackel freudig um die Ecken wedeln lässt. Das Zusammenspiel von Lenkungssensibilität, Dämpfer-Kennlinie, Ansprechverhalten des Motors und Schaltverhalten des Doppelkupplungsgetriebes ist in jedem der vier Fahrprogramme gelungen. Benutzerfreundliche Eleganz auch in der Bedienung: wenig Knöpfe, Bildschirmmenüs ohne technischen Ballast, ein vorbildlich informativer Instrumentencluster. Das alles umspielt von Holz und Leder in angenehmer Naturoptik. Der bis zu 8,7 Zoll große Mittelbildschirm steht Tablett-gewohnt hochkant, auch hier hat Renault gut von der gelebten Praxis abgeschaut. Die deutlich weniger als 1,5 Tonnen Lebendgewicht stützen Agilität und Fahrfreude merkbar.

Etwas weniger tragen dazu eventuell die beiden schwächeren Diesel mit 110 und 130 PS bei, der 160 PS starke Selbstzünder und vor allem die beiden Benziner zu 150 und 200 PS aber umso mehr. Die drei stärksten Triebwerke sind bereits seriell mit einem flink und komfortabel arbeitenden Doppelkupplungsgetriebe kombiniert, bei den schwächeren ist es gegen Aufpreis erhältlich. Die Ausstattung im Einstiegslevel ist bereits großzügig – und mit 27.990 Euro für den 110 PS Diesel wohlfeil. Selbst die stärksten Motorisierungen in Kombination mit der Topausstattung, die kaum einen Komfortanspruch enttäuschen wird, bleiben unter 42.000 Euro. Was die deutsche Konkurrenz angemessen nachdenklich stimmen sollte. Der Grantour genannte Kombi ist mit 1400 Euro Aufpreis ebenfalls bestellbar. Eine Coupé-Version schließt Renault derzeit aus – was angesichts der komprimierten Tugenden des Viertürers zu bedauern ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2015)

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