Technologie: Zurück in die Autozukunft

(c) Thomas von Salomon
  • Drucken

Fast fünf Jahrzehnte alte Vorhersagen zur Zukunft des Automobils erweisen sich als erstaunlich akkurat – wir stolpern nur mit dem Zeitplan etwas hinterher.

„Im Jahre 2000 werden die Menschen in unseren Städten entweder noch immer über städtische Verkehrsprobleme klagen, oder aber sie werden voll Stolz auf die Lösungen hinweisen, die das städtische Verkehrsproblem vergangener Zeiten eliminierten.“

Diese etwas unverbindliche Prognose des Forschers Forster L. Weldon zitiert das deutsche Fachblatt „Motor Revue“ im Jahr 1969. Sie ist Auftakt eines langen Essays, in dem sich der Autor, Karl Ludvigsen, die Zukunft nicht nur des Autos, sondern der Mobilität insgesamt ausmalt, in der auch das „Nachrichtenwesen“, unsere heutige Informationstechnologie, folgerichtig inkludiert ist.

Die Weitsicht ist verblüffend. So wird bemängelt, dass in zeitgenössischen Studien zur Städteplanung „jene gerade beginnende, ungeheure Revolution, die die bedeutendste Alternativlösung zur persönlichen Fortbewegung bieten wird“, nicht berücksichtigt ist – „das Nachrichtenwesen“.

Im „Nachrichtenraum“

„Das dreidimensionale Bild des Gesprächspartners wird im häuslichen ,Nachrichtenraum‘ so lebensgetreu erscheinen, dass man sich völlig normal unterhalten kann“, so Ludvigsen. „Auch Personengruppen, Dokumente und Gegenstände werden den unglaublichen Medien der Nachrichtenübermittlung des Jahres 2000 keine Schwierigkeiten bereiten.“

Lediglich das Konkurrenzverhalten hat der Autor falsch eingeschätzt, zumindest, was die Zeit betrifft. Denn das Verkehrsaufkommen steigt immer noch stetig, und das „zur Konkurrenz erwachsene“ Nachrichtenwesen vermochte die „Verkehrsmittelindustrie“ in ihrem Gesamtgeschäftsvolumen eben noch nicht zu überholen.

Oder eben doch?

Im Grunde sind ja längst mehr Menschen im Internet unterwegs als auf Straßen und Wegen, bloß dass sich eine gewisse Gleichzeitigkeit eingestellt hat. Der „häusliche Nachrichtenraum“ wird in der Tasche mitgetragen.

Noch vor dem Jahr 2000, so aus den fast 50 Jahre alten Notizen, werde „das menschliche Wahrnehmungsvermögen nicht mehr leicht in der Lage sein, zwischen einer elektronisch übermittelten und persönlich erlebten Erfahrung zu unterscheiden“, allmählich würde „das Rad für das Elektron“ in Zahlung gegeben. Und weiter: „Dieser Konkurrenzkampf könnte eines der wirksamsten Mittel sein, um die Autoindustrie wirklich voranzutreiben.“ Eine punktgenaue Vorhersage zu dem Schlachtfeld, das sich zwischen Silicon Valley und der traditionellen Autoindustrie aufgetan hat.

Kampf um Daten

Der Kampf um die heiße Datenware, um nichts anderes geht es unter den Schlagwörtern Konnektivität und autonomes Fahren, ist schließlich voll entbrannt. Einzig die Produzenten der Daten selbst – die Menschen, die sie hinterlassen, heute bezeichnenderweise nur als Konsumenten geführt – kommen für Besitzansprüche offenbar von vornherein nicht infrage.

Dem Versagen der Stadtplanung am Beispiel von New York City ist eine längere, zweifellos allgemeingültige Passage gewidmet.

Konkrete technische Lösungen wie geklebte Karosserien und effiziente Kleinserienproduktion (durch Auslagerung an Spezialisten wie Magna in Graz) werden ebenso gestreift wie die tatsächlich längst in Gang befindliche Verlagerung des Käuferinteresses: „Im Jahr 2000 wird dem Antriebsaggregat eines Wagens weit weniger emotionale Bedeutung beigemessen als heute.“ Oder preisen Autohersteller ihre Vehikel heute etwa nicht als „Smartphones auf Rädern“ an?

Dass das „Zu-Fuß-Gehen selbstverständlich als positives Vergnügen wiederentdeckt“ werden wird, darf als „work in progress“ gesehen werden.

Als Mittelding zwischen der reinen „Fußkraft“ und dem „Viel-Personen-Wagen“ sieht „Motor Revue“-Autor Ludvigsen ein „individuelles Fortbewegungsmittel“, das in seiner Beschreibung frappant an den Feldversuch von Toyota in der französischen Stadt Grenoble erinnert – dort sausen elektrisch angetriebene, wetterfeste Ein-Mann-Roller als Ergänzung zu Auto und öffentlichem Verkehr seit einem Jahr durch die Straßen.

Die Schwerfälligkeit der Autoindustrie, „wegen ihrer Größe neue Wege einzuschlagen, besonders, wenn es vollständig neue Wege sind“, war dem Autor damals vollkommen klar, ebenso der Umgang mit neuen Technologien, die speziell im Auto mit Risken verbunden sind – die ersten bekannt gewordenen Fälle von „Car Hacking“, die Manipulation von Autos per Laptop, als zarter Vorgeschmack auf Kommendes. „Uns fehlt nicht die weltraumreife Technologie, sondern ein Mond, auf dem wir landen wollen.“ Von dem scheinen wir weiter entfernt als 1969.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.