Der hat noch richtig Klasse

Jaguar XJ
Jaguar XJ(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Mit dem XJ hat sich Jaguar redlich bemüht, Coolness und Leichtigkeit in das Format der unter Druck geratenen Oberklasse zu bringen. Das Fünfmeterschiff glänzt vor allem mit den Dingen, die es nicht hat.

Die traditionelle automobile Oberklasse befindet sich im Umbruch, man könnte auch sagen: im Niedergang. Dass die Verkaufszahlen nicht ins Bodenlose fallen, liegt ausschließlich am chinesischen und erweiterten asiatischen Markt, in dem das Format immer noch stark gefragt ist.

In Europa ist aber längst nicht mehr jedes Unternehmen gewillt, dem Boss eine S-Klasse oder einen 7er angedeihen zu lassen. Man gibt es kleiner – oder auch im Gegenteil: Vielfach setzen den herrschaftlichen Limousinen hoch gewachsene Konkurrenten aus den eigenen Häusern zu, was für die Hersteller weniger schlimm ist. Ob Mercedes nun eine S-Klasse oder ein SUV in der gleichen Preisklasse verkauft, ist fast einerlei.

Von Tesla düpiert

Richtig schmerzhaft ist die Konkurrenz von Neueinsteigern. Da wäre Tesla mit dem Model S. In vielen wichtigen Märkten auf der Welt, etwa in der Schweiz oder den USA (und auch in Österreich), hat der kalifornische Hersteller die etablierte Konkurrenz mit seinem Stromauto regelrecht düpiert. Wer etwas wirklich Neues erleben und Fortschrittlichkeit darstellen will, fährt Tesla, da hilft es auch nichts, dass man im 7er-BMW Funktionen mit Gesten bedienen kann.

In diesem Spannungsfeld muss auch Jaguar mit dem XJ zurechtkommen. Dabei hat man sich redlich Mühe gegeben, dem Format so etwas wie Coolness einzuhauchen. Von ihrem Start im Jahr 1968 bis zur aktuellen Generation von 2009 sah die XJ-Baureihe mit den markanten Doppelscheinwerfern praktisch unverändert aus, dann machte sich Designer Ian Callum daran, den klassischen Kunden, Marke angegrauter Firmenpatriarch, einfach einmal zu vergessen und die Oberklasse komplett neu zu zeichnen. Ein großer Sprung für Jaguar, schockierend für manchen Traditionalisten.

Nun war eine Modellpflege fällig, der XJ erhält die obligate optische Bewehrung mit Scheinwerfern in LED-Technologie samt markantem Tagfahrlicht. Ein paar weitere Retuschen am Kühlergrill gibt es, im Großen und Ganzen bleibt der XJ aber, was er war: ein herausragender Beitrag in seiner Klasse.

Dabei geht es gar nicht so sehr um ein Mehr in ohnehin schon gesättigten Sphären. Es ist eher das Weglassen, das den XJ auszeichnet. Zunächst Gewicht: Ein Blick in die Papiere verrät, dass der komplett aus Alu gefertigte Jaguar gewichtsmäßig eine ganze Klasse tiefer anzusiedeln ist, nämlich bei einem vergleichbar motorisierten 5er-BMW. Auf den 7er macht der XJ ganze 110 Kilogramm gut. Und das merkt man.

Die Leichtfüßigkeit wirkt, gemessen an der altehrwürdigen Oberklasse, fast schon frivol, so freudig wirft sich die Limousine in die Kurven. Dabei ist das Auto länger als 7er und S-Klasse, mit über drei Metern Radstand schon in quasi Kurzversion (es gibt ja auch noch die extended wheelbase für den Chauffeursbetrieb).

Zusammen mit dem famosen Diesel-V6, der im XJ ohne großes Aufheben und akustisch verträglich gewaltige 700 Newtonmeter Drehmoment mobilisiert, macht souveränes Gleiten ebenso viel Spaß wie gelegentliches Pressing, dann gern im Sportmodus mit den entsprechend justierten Parametern. Die superbe Luftfederung beherrscht jede Gangart, ebenso die Achtgangautomatik.

Eine wahre Freude am Lenkrad – seine dynamischen Qualitäten kehrt der XJ so mühelos hervor, dass sich allenfalls Maserati mit ihm messen könnte – und höchstens ansatzweise der 7er. Nachhaltig erfrischend auch die Philosophie des Bordsystems. Es gibt eigentlich keines. Während Audi, BMW und Mercedes für ihre Flaggschiffe augenscheinlich am Cockpit des Airbus A380 Maß genommen haben, mit einem praktisch nicht zu ergründenden Wust an Funktionen, die vor allem der Ablenkung dienen, bleibt der XJ – ein Auto. Wem es ein Bedürfnis ist, aus 60 oder mehr Farben für die Innenraumbeleuchtung zu wählen, der wird hier wohl nicht glücklich. Von Details abgesehen, wirkt der Arbeitsplatz vor dem Volant immer noch wie vor 50 Jahren – und komisch, nichts geht einem ab.

Doch: Der Kofferraum könnte größer sein. Und Allrad wäre als Option auch für den Diesel fein, nicht nur den Kompressor-V6.

JAGUAR XJ 3.0D PORTFOLIO

Maße. L/B/H: 5130/1899/1460 mm. Radstand: 3032 mm. Leergewicht: 1835 kg. Kofferraumvolumen: 478 Liter.

Motor. V6-Zylinder-Turbodiesel, 2993 ccm. Leistung: 221 kW (300 PS) bei 4000/min, Drehmoment: 700 Nm bei 2000/min.

0–100 km/h in 6,2 sec.

Vmax: 250 km/h (elektr. abgeregelt).

Testverbrauch: 7,5 l/100 km.

Hinterradantrieb. Achtgangautomatik. Abgasreinigung mit SCR-Kat (AdBlue).

Preis ab 102.800 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2016)

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