Eine Italienerin zwischen Dolce Vita und Rock'n'Roll

Moto Guzzi V9 Roamer
Moto Guzzi V9 Roamer(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Moto Guzzis fein gelungene V 9 Roamer lässt ihre Fahrer spüren, wie sie stampft und rumort, aber keine Sorge: Sie will nur spielen.

Wien. Nehmen wir einmal kurz an, die Moto Guzzi V 9 zählte zur österreichischen Fußballnationalmannschaft. Sie würde an Mittelfeldspieler wie Zlatko Junuzović oder Julian Baumgartlinger erinnern. Bezeichnenderweise sagt man eben diesen etwas nach, was wiederum an Motorräder denken lässt: Sie seien Laufmaschinen.

Es ist aber nicht nur die Arbeit an sich, die sie auf dem Feld leisten. Es ist der Umstand, dass das Arbeiten dieser Spielertypen so gut erkennbar ist. Und nun sind wir endgültig bei der V 9. Die stärkste Wahrnehmung, die man hat, sobald man losfährt: Dieses Motorrad arbeitet. Damit ist nicht gemeint, dass sie sich Mühe geben muss. Damit ist gesagt: Wer die V 9 fährt, fühlt mit ihr mit. Wie ein Reiter mit seinem Pferd. Wer sie antreibt, erzeugt kein hysterisches Aufheulen, kein hochfrequentes Kreischen, sondern einen pulsierenden, grob gestrickten Rocksong. Dieser scheint von tief drinnen zu kommen. Ja, die V 9 ist Rock'n'Roll. (Kein Techno.)

Der 55 PS/40,4 kW leistende Motor folgt im Grund guter, alter Bauweise. Zwei Zylinder (Viertakt) stehen in der Guzzi-typischen V-Form, links und rechts vom tropfenförmig gestylten, mit dem stolzen Adler versehenen 15-Liter-Metalltank ab. Kleiner Seitensprung: Bei der wuchtigen, seit den 1970er-Jahren legendären California-Serie des Hauses Moto Guzzi wird der Tank quasi um die – buchstäblich – herausragenden 90-Grad-V-Twin-Zylinder herum gebaut. Aber zurück zur V 9. Ihr Hubraum umfasst 853 ccm, sie ist luft- und ölgekühlt und bringt ein maximales Drehmoment von 62 Nm bei 3000 U/min (die Frage „Nur 55 PS?“ ist insofern wirklich total unberechtigt).

Retro sind beide Modelle

Die V 9 gibt es als Roamer und als Bobber. Retro sind beide. Die Roamer ist in Gelb (giallo solare), Rot (rosso impetuoso) oder Weiß (bianco classico) zu haben. Sie ist noch mehr Easy Rider, noch mehr Peter Fonda. Die etwas sportlichere Bobber ist in Schwarz oder Grau erhältlich und weist etliche matt-schwarze Elemente auf. Der Lenker ist gedrungener. Auffälligstes Unterscheidungsmerkmal (der Motor ist ja derselbe): Ihr im Vergleich zur Roamer breiterer, kleinerer Vorderreifen (130/90, 16 Zoll). Also insgesamt ist die Bobber mehr Marke Bodybuilding. Beide Modelle haben 200 Kilogramm. Und ABS.

Bleiben wir bei der Roamer. Dieses schlichtweg schöne Motorrad aus dem traditionsreichen Werk im norditalienischen Mandello del Lario könnte es mittelfristig schaffen, nicht nur Guzzisti, sondern auch entferntere Freunde der Marke anzuziehen. Das Bike ist leicht zu fahren. Das klingt banal. Ist aber für Leute, die früher einmal Motorrad gefahren sind und wieder anfangen wollen, oder jene, die neu einsteigen möchten, kaufentscheidend. Die geringe Sitzhöhe fällt mit 775 Millimetern in die Kategorie bequem. Groß gewachsene Fahrer mögen Bedenken haben. Ungemütlich ist das Fahren für diese aber nicht. Die gerippte Sitzbank ist ordentlich, der Kniewinkel auch.

Der hochgezogene Lenker sorgt für eine entspannte, aufrechte Sitzposition. Das Sechsgang-Kardan-Getriebe lässt sich sauber schalten und schön von unten heraus fahren. Hochdrehen muss man nicht, die Beschleunigung ist auch im unteren Drehzahlbereich überzeugend (bei maximal 180 km/h ist aber Schluss). Also nein, die V 9 ist nicht das Bike, mit dem man andere zum Duell fordert. Nicht, weil die in Österreich um ca. 11.000 Euro zu habende Maschine das nicht kann. Sondern weil das nicht zu ihr passt. Ausgerechnet sie, die pochende, stampfende Arbeiterin, mag am liebsten das entspannte Cruisen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2016)

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