Wer hat Angst vorm bösen Volvo?

Der Volvo S90.
Der Volvo S90.(c) Photographie: Juergen Skarwan
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Fahrbericht. Eine Volvo-Limousine, der man auf der Straße nachschaut: Das ist Design-Kunststück und Teil einer großen Transformation – es drängt die Marke in höchste Premiumgefilde. Wird der S90 mit Topbenziner dem Anspruch gerecht?

Wenn eine schwarze, im Grunde klassische Limousine – nicht gerade das begehrteste Format dieser Tage – dermaßen viel Aufsehen erregt, dann hat der Designer wohl einiges richtig gemacht. Umso mehr, als es sich um einen Volvo handelt, und diejenigen, die das Auto auf der Straße so eingehend mustern oder ihm unverhohlen nachschauen, eher nicht zur angestammten Klientel der Marke zählen. Ziemlich genau das dürfte es sein, was Volvo-Designchef Thomas Ingenlath im Sinn hatte.

So kann der S90 eine Spur Audi auch nicht ganz leugnen – von der Marke kommt Ingenlath, und man sieht es. Den imposanten, aufrecht im Fahrtwind stehenden Kühlergrill wie ein Schild vor sich herführen, flankiert vom stechenden Blick der Scheinwerfer, das ist ein Rezept, das nun auch den Schweden Präsenz auf der Straße verschafft. Es hilft freilich, wenn sämtliche Exterieur-Extras angekreuzt wurden, darunter das Inscription-Paket mit allerlei Schwellern und Spoilern, und sicherheitshalber 21-Zoll-Räder montiert sind (die allerdings den scharfen Randstein suchen, als wäre er magnetisch, nicht unbedingt ein Komfortgewinn im Alltag). So setzt sich die als zurückhaltend-progressiv bekannte Marke neuerdings in Szene, eine gewaltige Transformation, die nicht nur kosmetischer Natur ist.

Auf nach China

Bis zum Jahr 2020 will Volvo 800.000 Autos im Jahr verkaufen, von einer halben Million im Vorjahr, und ein Drittel davon soll in China produziert werden – so auch der S90, der einstweilen noch nahe Göteborg vom Band läuft.

Der Volvo S90.
Der Volvo S90.(c) Photographie: Juergen Skarwan

Oberstes Ziel ist ein nachhaltiger Rang als Premiummarke, was der S90 in seiner Preisgebarung durchaus verdeutlicht. Wie bei der feinen deutschen Konkurrenz lässt man sich die standesgemäße Einrichtung extra bezahlen, sodass es keine große Schwierigkeit ist, 40 Prozent des Listenpreises für alle Goodies nochmals draufzulegen. So kratzte unser Testexemplar an der Schwelle zum Sechsstelligen.

Geboten wird ein Fast-Fünfmeterschiff mit über 2,9 Meter Radstand, das ergibt stattliche wie athletische Proportionen. Und selbstredend ein geräumiges Interieur, das skandinavischen Luxus proklamiert. Darunter ist am ehesten eine Hochwertigkeit der Materialien zu verstehen, aber ohne Chichi, wobei an Chrom und Glanz nicht wirklich gespart wurde. Und eine tadellose Ergonomie, die den Skandinaviern traditionell am Herzen liegt.

Das umfasst wohl auch das Bordsystem, das unter den reinen Touchscreen-Varianten zu den intelligenteren zählt, aber immer noch viel Aufmerksamkeit von der Straße abzieht – dem ausgereiften i-Drive-System von BMW etwa ist diese Art klar unterlegen. Da trifft es sich gut, dass der S90 mit den Vorboten des autonomen Fahrens ausgerüstet ist, also Gasgeben und Bremsen, über weite Strecken auch das Spurhalten selbsttätig erledigt. Die Abstimmung der Systeme könnte einen Schliff vertragen, in komplizierten Situationen zeigten sich Unsicherheiten. Öfters wurde auf eine nicht weit entfernt stehende Kolonne noch fest beschleunigt.

Beim Antrieb hat Volvo Mut bewiesen, wenn man so will. Natürlich reicht die Leistung, die man einem Zweiliter-Vierzylinder (mehr gibt es nicht) entlocken kann, fürs Verkehrsgeschehen. Nach 320 PS fühlt sich der T6 allerdings nicht an. Was fehlt, ist Geschmeidigkeit. Bis Turbo und Kompressor zudem Luft geholt haben, ist die Situation, in der man gern einen kraftvollen Satz nach vorn gemacht hätte, schon wieder vorbei. Vielleicht ist es altes Denken, aber um das Geld hätten wir gern einen Sechszylinder. Oder gleich alles elektrisch.

VOLVO S90 T6 INSCRIPTION

Maße: L/B/H: 4963/1879/1443 mm, Radstand: 2941 mm, Leergewicht: 1892 kg, Ladevolumen: 500 Liter, Allradantrieb, 8-Gang-Automatikgetriebe

Motor: R4-Zylinder-Otto, Turbo, Kompressor, 1969 ccm

Max. Leistung: 235 kW (320 PS)

Max. Drehmoment: 400 nm

0–100 km/h in 5,9 Sek.

Vmax: 250 km/h

Testverbrauch: 9,5 l/100 km

Preis: ab 71.155 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2016)

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