Škoda Octavia: Der Anfang aller Weisheit, nicht das Ende

(c) Rief
  • Drucken

Der Bestseller aus Tschechien ist halt das vernünftige und gute Auto, und in seinem heurigen Neudesign auch sagenhaft elegant. Ein Auto wie aus dem Lehrbuch für das G'hörige. Nur: Das Lehrbuch ist nicht alles.

Wenn ein Auto, dessen moderne Fassung (seit 1996; es gab in den 1960ern einen namensgleichen Ahnherrn) zum Verkaufshit geworden ist, muss etwas dahinterstecken. Mehr als fünf Millionen wurden gebaut, es war 2016 wieder der meistverkaufte Kombi Europas und lag in Österreich mit 8693 bzw. 2,6 Prozent aller Neuwagenverkäufe auf Platz zwei nach Gott Golf. Und doch: Haben Sie je jemanden über dieses Auto, einen Škoda Octavia, sagen hören: „Wow, geile Mühle!“?

Nun, es ist oft das Schicksal des wirklich Guten, unauffälliger, mitunter grauer zu wirken als der Rest. So auch der Octavia, dessen dritte Generation heuer ein Facelifting bekommen hat. Viele Beobachter meinen, dass der Tscheche, der im Kern ein günstigerer Abkömmling des Golf ist, dabei ist, mit Letzterem technisch und ausstattungsmäßig parzuziehen; manche fragen, ob er nicht „der bessere Golf“ sei.

Dieser Autor sah sich (als Eigner eines Golf IV Variant TDI Pumpe-Düse, 115 PS, Bj. 1999, einer der besten und lässigsten Kombis ever)einen der stärksten Neo-Octavias an: den Allradkombi Automatik, Version „Style“, 184 Dieselturbo-PS. Also, die Ausstattungsliste muss man an langen Abenden lesen, da fehlt wenig, was andere haben, und vieles nicht, was unnötig ist. Wenngleich: Unbeleuchtete Schminkspiegel sind ein Minus. Dafür kostete das Testauto auch satte 41.624 €, serienmäßig mit diesem Motor wären's 33.720 €, wobei Style mit 115-PS-Benziner ab 25.160 €, der Octavia grundsätzlich bei etwa 20.600 € wirklich günstig anfängt.

Und er ist schön: elegante Linien, klug gesetzte Kanten, gespaltene Frontlichter, herrlicher Kühlergrill. Tschechenmodelhaft plus ein Hauch französischer Noblesse, ein Gefährt für Präsidenten und normale Typen, denen es taugt, dass im großen Fond (größer als der im Golf) eine Bierkiste hinter den Rücksitz passt, ohne dass man ihn vorrücken muss. Man steht also minutenlang davor und lächelt.

Man wird 20 Jahre älter

Dann steigt man ein und . . . ja, schönes Interieur, perfekt verteilte, leicht begreifbare Instrumente, die Verkleidung haptisch angenehm, nichts wackelt, so gut wie dieser Bordcomputer hat uns noch keiner verstanden. Das Fahrgefühl tadellos, 380 Newtonmeter pressen einen in die Ledersitze, dass der Bub hinten ruft: „Hui, Achterbahn!“ (In den Muskelversionen RS/RS 245 hanteln gar bis zu 245 PS unter der Haube.) 6,2 Liter/100 km (Teststrecke: 1490 km) sind okay. Es ist ein schönes, vernünftiges, haltbares, gut designtes, relativ leistbares Auto. Ein Lehrbuch, wie man g'hörige Autos macht. Aber man steigt ein und . . .

. . . wird 20 Jahre älter. Trotz allem wirktes innen altbacken (vor allem bei der stets frühalterungsfördernden Grundfarbe Beige), die Anzeigen über dem Lenkrad atmen 1980er-Geist, ohne das ironisch zu meinen, viele Flächen wirken platt und undifferenziert. Es fehlt das Besondere. Der Pfeffer. Der Esprit.

Ein onkelhafter Schöner eben. Und was das Lehrbuch betrifft: Das Lehrbuch ist der Anfang aller Weisheit, nicht das Ende. (wg)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.