Formel E: Die leise Rennserie

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Die eine Formel ist den Fans nicht laut genug, die andere macht erst überhaupt keinen Krach - und muss ihre Fans erst finden. Mit der neuen Formel E gehen elektrische Boliden und eine völlig neue Renndramaturgie an den Start.

Es ist nicht so, dass Elektroautos wirklich lautlos wären, vor allem, wenn man sie, als Rennwagen ausgeführt, im physikalischen Grenzbereich um eine Strecke treibt. Da wimmern und jaulen die Reifen um Traktion, da knallen die Gänge wie mit dem Hammer geschlagen ins Getriebe, da ächzt die Aufhängung um Gnade – alles Geräusche, die man bei einem normalen Rennauto nicht hört, weil der Krawall der ungedämpften Auspuffanlage absolut alles im näheren Umkreis übertönt.

Zudem legt auch der E-Motor selbst einen Soundtrack, ein turbinenartiges Heulen, das beim Hochdrehen fast hysterisch klingt – der Klang von Strom in Hochvolt, sozusagen. Serienmäßigen Elektro-Pkw treibt man es mit hohem Aufwand aus, Rennautos dürfen das. Wenn jedenfalls ein Feld aus 20 elektrischen Rennern heranprescht, dürfte das auch eine schwerhörige Oma vom Queren der Fahrbahn abhalten.


Der große Strompreis. Ein solches Feld tritt im Rahmen der 2013 ins Leben gerufenen Formel E nun erstmals zusammen, um in Chinas Hauptstadt Peking den ersten, richtig, ePrix auszutragen. An wen der erste Strompreis geht, wird weniger die Technik bestimmen, denn die ist bei allen nahezu gleich. Für die Premierensaison hat man sich auf ein einheitliches Chassis und gleiche Antriebskomponenten geeinigt. Die Technik stammt durchwegs von alten Bekannten der Formel-1- und Racing-Szene: Renault, Williams, McLaren, Dallara. Die Allwetterreifen steuert Michelin bei.

Auch die Besetzung von Teams und Cockpits rekrutiert sich nicht aus Abgängern einer Waldorf-Schule: Fahrer wie Nick Heidfeld, Takuma Sato, Jarno Trulli, Bruno Senna und Nelson Piquet Jr. hatten schon ihre Auftritte in der Formel 1. An den Kommandoständen der Formel E halten ebenfalls Renn-Veteranen Ausschau: Alain Prost und Hans-Jürgen Abt beaufsichtigen jeweils Team und Sohn.

Ist die Elektro-Formel also ein Schattenbewerb der Königsklasse? Gar eine Konkurrenzveranstaltung, die es auf den Thron abgesehen hat? Bei Straßenautos ist der Trend zur Elektrifizierung durch Maßgaben der Gesetzgeber bereits unumkehrbar. Um weniger Sprit und diesen sauberer zu verbrennen, braucht es elektrische Unterstützung, was immer mehr Hybrid-Varianten in die Schauräume der Händler führt. Das reine Elektroauto besetzt bislang aber nur eine Mikro-Nische im globalen Automarkt. Das könnte sich aber schneller ändern, als es der am Verbrennungsmotor festhaltenden etablierten Autoindustrie recht ist.

Rasende Staubsauger. Die Formel 1 hält sich die rasenden Staubsauger fürs erste wohl noch gut vom Hals. Die eingefleischten Fans haben nichts übrig für die beklemmende Ruhe, die ihre Wochenenden stören könnte. Ihnen sind schon die eigenen Autos zu leise. Tatsächlich entfachte sich zu Beginn der Saison ein Gerangel um den „Megafon“-Auspuff, der endlich wieder den alten Krawall herstellen sollte. Die neuen Motoren sind per Reglement quasi auf natürliche Weise leiser geworden, der Hubraum ist mit 1,6 Liter klein, die Turbolader dämpfen, und die Drehzahl ist dramatisch abgesunken – von einst fast 20.000 Touren auf 12.000/min. Ein Formel-1-Rennen, ohne sich die Ohren zuhalten zu müssen? Da können sie ja gleich Prius fahren, empörten sich viele.

Man ahnt, an welchen Hebeln die Formel E ansetzt. Die Vision der obersten Motorsportbehörde FIA unter ihrem Chef Jean Todt lautet: Rennsport, der verträglich ist und der Serientechnik endlich brauchbare Impulse liefert. Denn auf der Straße sollen die Autos leiser und umweltfreundlicher werden, da sind sich alle einig. Fehlen nur noch die Fans. Formel-E-Chef Alejandro Agag, der Bernie Ecclestone der Stromrenner, hat keine Sorge, sie zu finden. Zum einen erschließen sich den Autos ganz andere Arenen: Städte. Statt in Blechkolonnen ins Niemandsland vieler Formel-1-Strecken zu pilgern, kommt die Formel E zu den Menschen. Die zehn Saisonrennen in Südamerika, China, den USA und in Europa werden allesamt in City-Zentren ausgetragen. Auf Einnahmen an der Ticket-Kassa ist die Show nicht angewiesen. Das Budget der teilnehmenden Hersteller – bislang Renault und Audi, der Rest beobachtet interessiert – beträgt ein Bruchteil der Summen, die in der Formel 1 aufgewendet werden müssen.

Zum anderen hat die Komponente des Sounds im Fernsehen kaum Bedeutung. Hier geht es nur um die Action, um Zweikämpfe und Überholmanöver. Und dabei darf das Publikum an den Schirmen auch gerne mitwirken. Das ist neu. Wie es funktioniert?

Boost für den Liebling. Die Elektromotoren der Formel E haben eine Spitzenleistung von 270 PS fürs Qualifying, während des Rennens stehen 180 PS zur Verfügung, um Strom zu sparen. Nun können einzelnen Piloten bzw. deren Autos per Online-Voting Leistungsspritzen verabreicht werden: Der Publikumsliebling bekommt einen Boost und überholt. Dieses Spiel wiederholt sich viele Male, so dringt das interaktive Element von Talente- und Casting-Shows in den Rennsport. Hört sich zumindest gut an – für Teenies, die mit dem Smartphone aufwachsen, jedenfalls spannender als eine starre, in ihrer Dramaturgie kaum zu durchschauende Rennserie, deren Chef ein über 80-Jähriger ist.

Bleibt nur die Frage, wie ein Akku eine ganze Renndistanz durchhalten soll. Tut er gar nicht. Etwa zur Mitte des Rennens biegen die Fahrer in die Boxengasse und tauschen flink Auto. Ein zeitgemäßes Signal an die Kids zu Hause: Ein bisschen Bewegung während der ganzen Sitzerei kann nicht schaden!

Strompreis

Speed. Ein Formel-E- Auto beschleunigt von 0 auf 100 km/h in etwa 3,0 Sekunden – kaum weniger schnell als ein Formel-1-Auto. Top-Speed ist 222 km/h.

Boost. Die Spitzenleistung beträgt 270 PS im Qualifying, im Rennen deutlich weniger. Doch kann das Publikum kurzfristig Extra-PS vergeben, die elektronisch übertragen vom Motor aktiviert werden.

Tanken. Der Akku hält kein ganzes Rennen. Gegen Hälfte der Distanz müssen die Autos in der Box gegen neue mit voller Batterie getauscht werden. Dabei zählt jede Zehntelsekunde – ganz wie beim Boxenstopp in der Formel 1.

Brasilianische Siegesfeier

Lucas di Grassi hat sich am Samstag in Peking als erster Sieger der neuen FormelE feiern lassen. Der Brasilianer gewann vor dem Franzosen Franck Montagny und dem Briten Sam Bird, profitierte zugleich aber vom spektakulären Zusammenstoß zweier Rivalen: Nick Heidfeld wollte in der letzten Runde den führenden Franzosen Nicolas Prost überholen, doch deren Fahrzeuge kollidierten. Heidfelds Fahrzeug überschlug sich, der Deutsche entstieg dem Wrack unverletzt. Heidfeld hatte sich auf der zweiten Hälfte des Einstundenrennens nach Autowechsel vom vierten auf den zweiten Platz verbessert, griff im Finish nach dem Sieg. Doch beim versuchten Überholmanöver zog Prost nach links. Der ehemalige Formel-1-Pilot Heidfeld, der für das Venturi-Team von Mitbesitzer Leonardo DiCaprio fährt, rutschte mit seinem 888 kg schweren Boliden über die Randsteine, krachte gegen die Streckenbegrenzung und überschlug sich, ehe das Auto mit den Rädern nach oben auf dem Asphalt aufschlug.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2014)

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