Wodka und Piroschki: Boom der Russenläden

Geschäfte für russische Spezialitäten schicken sich an, »den Türken« als Nahversorger abzulösen.

Asiatisch, orientalisch, mediterran? Gibt es auf dem Wiener Naschmarkt schon lange. Nur die russische Küche hat lange gefehlt. „Ich wollte, dass Österreicher auch russische Delikatessen kennenlernen“, sagt Louifia Badalbaiev. Und so hat die langjährige Naschmarkt-Standlerin ihr Blumengeschäft aufgegeben und vor zwei Monaten das erste russische Delikatessengeschäft des Marktes aufgesperrt. Die Österreicher, so sagt die gebürtige Russin, seien noch vorsichtig, wenn es um russische Küche geht. „Ich muss noch viel reden, die Kunden zum Probieren animieren“, sagt sie und reicht ihre Kostproben. Zarten russischen Sauerrahm – derzeit ihr beliebtestes Produkt –, russische Kirschtorte, warme Piroschki, die gefüllten Blätterteigtaschen. „Erst vor ein paar Tagen war eine Frau bei mir, die Borschtschsuppe aus Dostojewskis Büchern kannte und sich sehr gefreut hat, dass sie die nun probieren kann“, sagt Badalbaiev. Auch Wiener, die russische Bonbonniere noch aus ihrer Kindheit, von den russischen Soldaten kennen, kämen nun zu ihr.
Langsam kommt die russische Küche in Österreich an. Seit zwei, drei Jahren eröffne in Wien ein russisches Geschäft nach dem anderen, sagt Mischa Burt, der mit dem Mischka in der Hernalser Hauptstraße einen der traditionsreichsten russischen Delikatessenläden Wiens betreibt. 30 Geschäfte für russische Lebensmittel, schätzt er, gebe es nun in Wien. Viele, glaubt er, würden aber wieder verschwinden, da es oft an der Qualität der Waren mangele. Auch Badalbaiev sieht den Boom kritisch: Sie spricht von Betreibern, die von russischen Delikatessen wenig Ahnung hätten. Auch deswegen, meint sie, schrecken viele Wiener noch vor der russischen Küche zurück. Dennoch, russische Kunden sind bei ihr in der Minderzahl.

Ganz normale Russen. Bei Mischa Burt stammen noch etwa sechs von zehn Kunden aus Russland. „Es sind ganz normale Russen, die schon lange in Österreich leben. Die Neureichen, von denen man immer spricht, kommen nicht, sie lehnen das traditionell Russische bewusst ab.“ Und russische Touristen seien überhaupt die schlechtesten Kunden. „Vier, fünf Mal am Tag kommen Gruppen, machen Fotos, kaufen aber nichts.“ Wer bei ihm einkauft, greift besonders gern zur Flasche: Wodka, Sekt, Wein und Bier gehen am besten, sagt Burt.
Aus der russischen Küche empfiehlt er besonders eingelegten oder kalt geräucherten Fisch. „Es kommen auch mehr und mehr Österreicher, die das probieren und nach Rezepten fragen.“ In ein, zwei Jahren, schätzt er, werde die russische Küche ihre Exotik verlieren. Dann werde man, wie in Deutschland schon üblich, so selbstverständlich zum Russen einkaufen gehen wie heute zum Türken. ?

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