Kirche in Europa: Benedikts großes Sorgenkind

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Die meisten Katholiken sind (innerlich) Protestanten, und selbst für die Polen wird Religion unwichtiger: Hat der Vatikan in Europa noch eine Chance?

Bis zum 15.Jahrhundert existierte die katholische Kirche praktisch nur in Europa. Heute klingt der berühmte Satz Kardinal Königs, Europa stehe „im Zeichen des Kreuzes“, nur wie ein Nachhall ferner Zeiten. König hatte hinzugesetzt: „Wenn die Vertikale immer schwächer wird, bleibt schließlich ein Minuszeichen.“

Wie misst man die Länge der katholischen „Vertikalen“ in Europa, dem großen Sorgenkind des zurückgetretenen Papstes, dem am stärksten säkularisierten unter allen Kontinenten? (Um ein Extrembeispiel zu nennen: Bei einer internationalen Umfrage 2012 gaben in Ostdeutschland knapp 60Prozent an, nie an Gott geglaubt zu haben, in den USA nur vier Prozent.)

Dem statistischen Jahrbuch des Vatikans zufolge beherbergt Europa derzeit knapp ein Viertel aller Katholiken weltweit, und ihr Anteil an der europäischen Gesamtbevölkerung hat sich in den letzten Jahrzehnten nur geringfügig verändert. Aber wer ist ein Katholik?

Getauft ist gleich katholisch?

In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es die Kirchensteuer, also auch eine staatlich registrierte Mitgliedschaft, also auch die Möglichkeit des Kirchenaustritts. Der schlägt sich in den sinkenden Mitgliederzahlen nieder (von denen übrigens trotz fehlenden Zölibats und Priesterinnen die Protestanten genauso oder sogar noch stärker betroffen sind).

Anderswo aber gilt: Wer getauft ist, zählt mit. Und so gelten etwa in Polen immer noch 90 Prozent der Bürger als Katholiken, in Spanien und Italien rund drei Viertel. Dort wie auch in Irland hat die Kirche noch eine große öffentliche Bedeutung, und es gibt viele praktizierende Katholiken. Aber selbst in den traditionellen katholischen Hochburgen zeigen Umfragen starke mentale Veränderungen: Für die Polen etwa rangiert Religion auf der Prioritätenliste nur noch auf Platz sieben hinter anderen Dingen wie Familie und Beruf.

Soll man die Stärke der katholischen „Vertikalen“ an der Zahl der Messebesucher messen? In Frankreich etwa, das zu zwei Dritteln als katholisch gilt, besucht nur eine winzige Minderheit regelmäßig die Messe. Und sogar im offiziell zu 80 Prozent katholischen Spanien sind es nur noch 20 Prozent.

Oder misst man sie an den Glaubensüberzeugungen? Da zeigt sich, dass die meisten „Katholiken“, was ihren Glauben betrifft, viel eher Protestanten sind; dass etwa in Österreich nur noch 13Prozent glauben, dass Jesus von einer Jungfrau geboren wurde; oder dass von den regelmäßigen Kirchgängern in Frankreich 13 Prozent gar nicht an den Himmel glauben.

„Messebesuch kein Indikator“

Aber immer noch geben sehr viele an, irgendwie an Gott zu glauben (in Österreich gut die Hälfte der Befragten). Sind das Anwärter für eine erhoffte Neuevangelisierung? Vor wenigen Monaten erst fand die vom Papst dazu einberufene „größte Synode der Neuzeit“ statt, auf der auch viel von Glaubenskommunikation mittels Social Media geredet wurde.

Dennoch habe man die ungeheuren Veränderungen nicht genau genug erfasst, sagt Michael Kuhn, Referent für EU-Agenden bei Österreichs Bischofskonferenz und Mitglied der „Comece“ (Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft). „Der Umbruch ist tief greifender, als wir uns vorstellen können. Alle institutionalisierten Formen verlieren an Bedeutung, auch in der Politik, und wir wissen noch nicht, wie die neuen Formen aussehen werden.“ Am Messebesuch etwa könne man nicht mehr Religiosität ablesen: „Manche gehen stattdessen eine Woche ins Kloster oder praktizieren Achtsamkeit im Alltag.“

Ein Beispiel, wie man erfolgreich auf die veränderten Mentalitäten reagieren kann, ist für Kuhn der „Orden auf Zeit“, den die Franziskaner in den Niederlanden anbieten. „Es erinnert an buddhistische Länder, wo ein Jugendlicher für bestimmte Zeit Mönch wird. Er nimmt von dieser Lebensform sicher etwas mit. Es geht darum, solche neuen Formen zu finden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2013)

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