Leitartikel: Sensation in der katholischen Kirche: Der argentinische Kardinal Bergoglio, der in einer Wohnung statt im Palais wohnt und als Seelsorger der Armen gilt, ist Papst.
Habemus papam. Das war die erste Überraschung des gestrigen Abends. Letztlich ist alles dann doch wesentlich rascher verlaufen, als von vielen, von sehr vielen erwartet. Keine 27 Stunden, fast so rasch wie bei der Wahl Joseph Ratzingers vor acht Jahren, sind nach dem Einzug der 115 Kardinäle in die Sixtinische Kapelle vergangen, da war das Konklave auch schon wieder beendet. Und diesmal war der Rauch von Beginn an als weiß oder weißgrau oder grau zu identifizieren, jedenfalls aber definitiv nicht als schwarz.
Habemus papam also. Und dann die nächste, die noch viel größere Überraschung: Der Mann, der da von Kardinalprotodiakon Jean-Louis Tauran mit eher dünner Stimme vorgestellt wurde und wenig später auf die Loggia des Petersdoms trat, Jorge Mario Bergoglio ist erstmals kein Europäer, hat keine Erfahrungen als Mitarbeiter der vatikanischen Kurie. Er ist Lateinamerikaner, ein Jesuit, ein Seelsorger der Armen, der bis gestern nicht in einem Palais, sondern in einer Wohnung lebte und mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren pflegte.
Überraschend auch die Namenswahl des 266. Nachfolgers Petri: Franziskus I. Der Name ist Programm. Franz von Assisi hat einen Bettelorden gegründet, lebte mit und für die sozial Schwachen, die Armen und hat durch seine Tätigkeit einer Neuausrichtung der katholischen Kirche, einer Rückbesinnung auf das Evangelium bewirkt.
Überraschend auch der erste Auftritt vor einem Millionenpublikum. Vom Habitus her erinnerte er an Johannes XXIII., den Papst des Konzils. Eine seiner ersten Geste war das genaue Gegenteil jedes überkommenen kirchlichen Triumphalismus. Der neue Papst bat die Hunderttausend, die sich trotz Regens auf den Petersplatz versammelt hatten, um ein stilles Gebet für ihn, bevor er seinen ersten Segen Urbi et Orbi spendete.
Die Wenigsten konnten in Rom und wohl auch vor dem TV mit dem Namen Bergoglio zunächst viel anfangen. Und die wenigsten wussten in diesem Moment, dass eben dieser Bergoglio schon ein Mal papabile war. Im Jahr 2005, nach dem Tod von Johannes Paul II. Nicht nur das: Der Kardinal aus dem fernen Argentinien mutierte damals während des Konklaves zum (einzigen) ernst zu nehmenden Gegenspieler Joseph Ratzingers. Promotor des Erzbischof von Buenos Aires war der mittlerweile verstorbene Mailänder Kardinal Martini, der bis zu seinem letzten Interview die Notwendigkeit von Reformen in der katholischen Kirche betont hat. Damals war die Zeit noch nicht reif. Damals konnten sich die Kardinäle von der Ära Johannes Paul II. noch nicht lösen. Mit dem gestrigen Tag ist diese Ära definitiv beendet. Für die katholische Kirche mit ihren 1,2 Milliarden Mitgliedern hat ein neues Zeitalter begonnen.
Die extreme Euro-Zentrierung der vergangenen Jahrhunderte hat der katholischen Kirche nicht nur gut getan. Auch wenn selbst in Südamerika die Zahl der Katholiken langsam zurück geht: Tatsächlich ist die Kirche in vielen Teilen der Welt vitaler als in Europa, wo sie zum Teil noch immer unter den Nachwirkungen der jahrhundertealten engen Verbindung mit dem Staat leidet.
Natürlich ist evident, dass es bei der Wahl des Oberhaupts der Katholiken sehr stark auf die Person ankommt – auf die Spiritualität des neuen Pontifex, auf dessen theologische Ausrichtung, dessen Kommunikationstalent und auch auf die Fähigkeit, eine Organisation zu führen, also auf – auch wenn viele in der Kirche den Ausdruck in diesem Zusammenhang alles andere als gerne hören – Managementfähigkeiten. Und nicht so sehr darauf, woher er kommt. Aber genauso richtig ist es, dass das politische, soziale, kulturelle, und eben auch kirchliche Umfeld eine Person prägen. Die katholische Kirche erfindet sich selbst durch den Papst aus Lateinamerika nun gewissermaßen neu. Für ein weiteres Aufschieben derzeit ungelöster Fragen, fehlt der Kirche, so steht anzunehmen, die Zeit.
Die Wahl der Kardinäle, die Wahl von Franziskus I. ist aber geeignet, Hoffnungen zu wecken. Nicht nur bei Katholiken. Auch die Zivilgesellschaft darf mit Spannung auf das Einlösen der Option einer weltumspannenden Glaubensgemeinschaft für die Armen warten. Habemus papam.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2013)