Reportage: Als Franziskus vor den Vorhang trat

Reportage Franziskus Vorhang trat
Reportage Franziskus Vorhang trat REUTERS/Stefano Rellandini
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Auf dem Petersplatz in Rom versammelten sich Gläubige, Zaungäste und Touristen, um den neuen Papst vom anderen Ende der Welt zu feiern: den Argentinier Jorge Mario Bergoglio alias Franziskus.

Rom. Warum kommt er nicht? Wo bleibt er, was ist los? Um 19.07 Uhr ist der weiße Rauch aus der Sixtinischen Kapelle aufgestiegen, in ganz dicken Schwaden und eindeutig weiß, nicht so rätselhaft hellgrau wie bei Joseph Ratzingers Wahl 2005. Um halb acht sind die Blaskapellen der vatikanischen Gendarmerie und der italienischen Carabinieri vor der taghell erleuchteten Fassade des Petersdoms angetreten, die Schweizergarde in ihren mittelalterlichen, blinkenden Stahlhelmen auch. Aber wo bleibt der neue Papst?

Eine dreiviertel Stunde, hatte es geheißen, würde es dauern vom weißen Rauch bis zum ersten Auftritt des Neuen. Aber schon der Rauch ist eine halbe Stunde später gekommen als erwartet. Schnell waren die 115 Kardinäle bei ihren zwei Wahlgängen am Morgen; demnach wären sie am Abend auch, nach dem insgesamt fünften Durchgang, gegen halb sieben Uhr fertig gewesen. Aber wer weiß, vielleicht hat der Neue so lange gebraucht, die Wahl anzunehmen; vielleicht war er sich nicht sicher, vielleicht hat er lange überlegt, vor dem in einer Nachbarkapelle extra aufgestellten Allerheiligsten allein für sich gebetet. Nanni Moretti hat aus diesem Sujet einen ganzen Film gedreht: Ein Papst, der sich zu unsicher ist, der sich überfordert fühlt, dem sie mit frommem, verräterisch frommem Druck das Ja herauspressen, weil kein anderer den Job machen will. Und was ist an diesem realen 13. März 2013 in Rom los?
Endlich, die Lichter hinter der Loggia des Petersdoms brennen schon einige Minuten, da tritt – oder besser wankt, von Alter und Krankheit gezeichnet – der erste Kardinaldiakon auf den Balkon. Dem Franzosen Jean-Louis Tauran kommt diesmal  die Aufgabe zu, die große Freude, aber natürlich auf lateinisch – das „gaudium magnum“ – anzukündigen: „Habemus Papam!“

Tauran tut es mit unerwartet fester Stimme; der Platz jubelt. Lange haben sie schon gestanden, die hunderttausend, seit gut zwei Stunden die meisten, im unaufhörlich strömenden Regen. Alle sind sie durchnässt, auch die taubenblau gekleideten Nonnen, die schon den ganzen Tag auf ihren Campingstühlen hier Rosenkranz beten. Gekrümmt sitzen sie da; vor Kälte pressen sie die Finger zusammen, sie halten es schier nicht mehr aus. Die Unruhe ist von Minute zu Minute gestiegen, erst der weiße Rauch hat die Nervosität gestillt; doch jetzt die Frage: Wo bleibt er? Das Gebrause wird lauter.

Francesco-Sprechchöre

„Georgum Marium Bergoglio“, ruft Tauran von den Höhen der Loggia auf den Platz hinunter, denn auch der Name des Neuen muss, so weit wie möglich, lateinisch gefasst werden, und alle schauen sich fragend an. Wer soll das sein? Schulterzucken allerseits. „Er gab den Namen Franziskus. Tauran tritt ab, hinter ihm schließt sich der samtrote Vorhang. Und jetzt? Nach schier endlosen Minuten rollen Arbeiter des Vatikan einen Vorhang über die Balustrade. Ohne Wappen. Ein alles beherrschender weißer Fleck in der Mitte. Ein unbeschriebenes Blatt gewissermaßen. Und wieder schließt sich der Samtvorhang. Doch mittlerweile hat sich auf dem Platz die Stimmung gedreht.

Aus dem Warten entstehen die ersten Sprechchöre: Francesco, Francesco, Francesco!  Und ein Italiener in der Nähe meint:  Die können das aus dem Fußballstadion. Die denken bestimmt an Francesco Totti, den Star des AS Roma.

Um 20.22 Uhr endlich kommt er heraus. langsam erscheint Jorge Mario Bergoglio. Nicht mehr im Kardinalsrot, sondern im im Papstweiß. Franziskus, der Erste. Denn so populär der heilige Franz von Assisi ist, Italiens Nationalpatron, der Heilige, der zu den Vögeln und den Fischen predigte, zu Bruder Sonne und Schwester Mond, der bewusst Arme, der die reiche Machtkirche des Mittelalters provoziert hat – noch nie hat sich ein Papst nach ihm benannt. Und noch ein Novum ist dieser Franz: Noch nie vor Bergoglio saß ein Jesuit auf dem Papstthron.

Bergoglio reißt nicht die Arme hoch wie sein Vorgänger. Er lächelt nicht einmal. Steif steht er da, ungelenk, er lässt die Schultern hängen, das Brustkreuz hängt schief, gerade einmal die rechte Hand hebt er zu einer verhaltenen Begrüßung. Besorgt sieht Franz aus, ernst; ein strenges Gesicht – durch die Brille verstärkt – wie der unnahbare Pius XII., dafür eine Statur, die an den populären Johannes XXIII. erinnert. Und dann sagt er einfach: „Brüder und Schwestern, guten Abend!“ Natürlich im spanischen Akzent.

Vor 76 Jahren in Buenos Aires geboren, ist Bergoglio über Argentiniens Hauptstadt kaum hinausgekommen; Erzbischof ist er dort seit fünfzehn Jahren. Trotzdem galt er schon 2005, nach Johannes Paul II. als  papabile. Acht Jahre später hat es geklappt.

Ein Vaterunser für Benedikt XVI.

Franz fängt an mit einem Vaterunser plus Ave Maria für den  emeritierten Bischof für Benedikt XVI., und der ganze, riesige Platz betet andächtig mit. Dann stellt er sich selbst auch als Bischof von Rom vor, den die „Brüder Kardinäle vom anderen Ende der Welt“ geholt  haben. Dass Bergoglio Papst der Weltkirche und nicht nur Bischof der italienischen Hauptstadt ist, das kommt in seiner Begrüßungsadresse nicht vor. Von Brüderlichkeit, Liebe und Vertrauen spricht er, von einem „Weg, der hoffentlich fruchtbar ist für die Evangelisierung dieser Stadt“.

Der neue Pontifex ringt nach Worten. Aufgeregt ist er. Er atmet schwer, und irgendwo im Gedächtnis taucht die Erinnerung an schwere Lungenprobleme wieder auf, die damals, 2005, angeblich auch seine Wahl zum Papst erschwert haben. Er beugt sich im Gebet nach vorne, und fast hat es den Eindruck, er würde im nächsten Augenblick von der Balustrade stürzen. Ja, und dann kommt er doch noch mit einem Halbsatz auf die Welt zu sprechen; vor dem Segen „Urbi et Orbi “ lässt er den Platz, in Stille, für ihn, den neuen Papst beten, und dann spricht er von  Brüderlichkeit für uns und die ganze Welt. Der Applaus hält sich in Grenzen. Die Leute gehen. Noch im Bus fragen sie einander: Wer ist das eigentlich? Und eine italienische Zeitung titelt in ihrer Online-Ausgabe: „ Seine ersten Worte: Gute Nacht und gute Erholung!“

("Die Presse" Printausgabe vom 14.3.2013)

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