Unmittelbar nach der Papstwahl strömten tausende Katholiken in die Kathedrale von Buenos Aires, um "ihren" Heiligen Vater zu feiern. Präsidentin Kirchner aber soll geschäumt haben.
Buenos Aires. Es war die pure Freude. Die Augen der tausenden Katholiken, die am späten Mittwochnachmittag in die Kathedrale von Buenos Aires geströmt waren, leuchteten wie der Sternenhimmel der Südhalbkugel. Auf der 100 Meter breiten Treppe vor dem säulenbestandenen Portal sang die katholische Jugend aus vollen Kehlen, kräftige Burschen tanzten Ringelreihen und grölten Gesänge wie im Fußballstadion. Fahnen wehten im frischen Herbstwind, die herbeigeeilten ambulanten Händler waren nur mäßig vorbereitet, denn sie hatten nur Argentiniens weiß-blaue Nationalflagge im Sortiment, die weiß-gelben Fahnen des Vatikans mussten die Gläubigen selbst mitbringen.
In weiser Voraussicht hatte der Generalvikar der Diözese, Joaquín Sucunza, noch ehe weißer Rauch in Rom aufstieg, eine Messe für 19Uhr angesetzt. Es wurde der bestbesuchte Gottesdienst seit Jahren. In dem riesigen neoromanischen Kirchenschiff drängten sich die Gläubigen, Büromenschen in Anzügen und Krawatten, Schülerinnen von katholischen Instituten im Schottenrock, Ordensschwestern, Priester, Pensionisten und junge Mütter mit ihren Kindern, um die Eröffnungsworte des Vikars zu vernehmen: „Habemus Papam“, sagte Padre Joaquín im vollen Bewusstsein des doppelten Wortsinns. „Und es ist unser vielgeliebter Erzbischof von Buenos Aires, der Kardinal Jorge Mario Bergoglio, den wir heute der ganzen Welt schenken als Francisco. Auf dass der Herr ihn glücklich mache in der Welt und dass er ihn viele Jahre bewahre. Es lebe der Papst!“
Verhasst im Regierungspalast
Viele Tränen flossen über diese Sätze, über das Wunder, dass ihr Erzbischof, der seit 15 Jahren in dieser Kathedrale predigte, der in einem kleinen Zimmer im zweiten Stock des Kirchengebäudes nebenan wohnte, der Armen die Füße wusch und gegen die Gier und Korruption der Mächtigen predigte, der U-Bahn fuhr und Mate trank, dass dieser so bescheidene Mann für das höchste Amt zwischen Erde und Himmel auserwählt wurde. Der erste Jesuit, der erste Argentinier, der erste Lateinamerikaner auf dem Stuhl Petri!
Die historische Plaza de Mayo, das Herz der Hauptstadt und eigentlich des ganzen 40-Millionen-Landes, war an jenem frischen Spätsommerabend zweigeteilt, und das nicht nur wegen der Absperrgitter, mit denen die Polizei die Fahrbahnen abriegelte. Nur dreihundert Meter östlich der Kathedrale liegt, futuristisch angestrahlt von einer modernen Lichtinstallation, Argentiniens Regierungspalast, die Casa Rosada. Dort, so künden die akkreditierten Berichterstatter, löste die Wahl des Konklaves schieres Entsetzen aus. „Das darf nicht wahr sein!“ war angeblich der meistgesprochene Satz an jenem Nachmittag. Und: „Wir können nicht so viel Pech haben!“
In der Administration von Cristina Kirchner ist der Erzbischof nicht unbeliebt. Er ist verhasst. Seitdem Néstor Kirchner im Mai 2003 die Präsidentschaft des Landes antrat, hat Bergoglio niemals einen der beiden Kirchners empfangen.
Der Bischof weigerte sich, in der Casa Rosada jenen Diener zu machen, den vor allem „La Presidente“ von allen Untertanen erwartet. Weil Bergoglio in seinen Predigten stets die Missstände im Lande offen ansprach, verlegten die Kirchners die öffentlichen Akte der beiden Nationalfeiertage 25. Mai und 9. Juli in Städte im Landesinneren, um nicht die Schelte des „Oppositionsbischofs“ ertragen zu müssen, wie Bergoglio in Regierungskreisen genannt wurde.
Pfeifkonzert bei Rede von Kirchner
So dauerte es tatsächlich zwei Stunden, bis die Präsidentin ein mageres Gratulationsschreiben verfasste. „Es ist unser Wunsch, dass Sie, wenn Sie die Führung der Kirche übernehmen, eine ertragreiche seelsorgerische Mission erfüllen werden, voller großer Verantwortung im Hinblick auf Justiz, Gleichheit und den Frieden der Menschheit. Ich lasse Ihrer Heiligkeit meine Wertschätzung und meinen Respekt zukommen!“ US-Präsident Obama hatte zuvor Bergoglio wesentlich herzlicher mit den Worten: „Meister der Armen und Verletzlichen“ begrüßt.
Als die Präsidentin am Mittwochabend bei einer Veranstaltung vor – wie stets – nur geneigtem Publikum die Papstwahl in Rom erwähnte, begannen einige der Zuhörer ein Pfeifkonzert. In den sozialen Netzen Facebook und Twitter gossen die gut vernetzten Anhänger der Präsidentin massiv Unrat aus. Kurzzeitig habe man in der Casa Rosada sogar darüber nachgedacht, an der Amtseinführung von Franziskus nicht teilzunehmen. Doch schon bald war klar, dass es sich kein lateinamerikanisches Staatsoberhaupt leisten kann, bei der Inthronisation des ersten Papstes aus Amerika zu fehlen. Selbst wenn der Jorge Mario Bergoglio heißt.
Auf einen Blick
Franziskus ist der erste Nichteuropäer auf dem Stuhl Petri seit 1272 Jahren. Sein diesbezüglicher Vorgänger ist GregorIII., der aus Syrien stammte und von 731 bis 741 Oberhaupt der katholischen Kirche war. Im 7. und 8.Jahrhundert kam ein Reihe von Päpsten aus dem Osten. Auch der erste Pontifex war natürlich kein Europäer. Petrus wurde in Kapharnaum im heutigen Israel geboren.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2013)