Der Papst mit der feinen Stimme und dem Kern aus Stahl

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Drei Zäsuren prägten den neuen Papst: die schwere Lungenkrankheit in seiner Jugend, die Militärdiktatur und die neue Armut in Argentinien.

Buenos aires. Sie haben zusammengelegt, denn es konnte nicht sein, dass der Erzbischof von Buenos Aires mit diesen alten, abgeschabten Schuhen, die er seit Jahren täglich trug, zum Konklave in die Ewige Stadt flöge. Also kauften einige gute Freunde ihm ein paar neue schwarze Halbschuhe. Er hat sie akzeptiert, obwohl das Annehmen von Geschenken ihm immer eine Qual war.

Als er dann – als einer der ersten Purpurträger, die zum Konklave anreisten – die Maschine der Aerolineas Argentinas nach Rom bestieg, nahm er Platz in der Touristenklasse. Das First-Class-Ticket, das ihm aus Rom geschickt worden war, verschmähte er, wie auf allen Rom-Reisen zuvor. Er reist „como la gente“: wie die einfachen Menschen, denen er sich verbunden fühlt. Seinen Vertrauten, die ihn zum Flughafen Ezeiza brachten, fiel auf, dass er nur einen kleinen Koffer dabeihatte, als wäre er nur unterwegs zu einer Stippvisite in einer argentinischen Provinzstadt. Bergoglios langjähriger Sprecher Guillermo Marcó erinnert sich, dass der Bischof vom Ende der Welt nie gerne in die Hauptstadt der katholischen Christenheit flog.

Nun ist er deren oberster Hirte, der Papst, und, das hat er in seiner kurzen Ansprache auf dem Balkon des Petersdoms ja auch ganz deutlich gesagt: Bischof von Rom. Bergoglio, der erste Papst vom amerikanischen Kontinent, ist ja auch Italiener. Sein piemontesischer Vater war zu Anfang des Jahrhunderts wie viele seiner Landsleute nach Argentinien gekommen, knapp die Hälfte aller Argentinier haben italienische Vorfahren. Bergoglio senior arbeitete bei der Eisenbahn, das Haus der siebenköpfigen Familie stand in der Straße Membrillar im kleinbürgerlichen Stadtteil Flores.

Zwischen Leben und Tod

Jorge Mario war der Erstgeborene, drei Schwestern und ein Bruder folgten. Seine Eltern schickten den schlanken und hoch aufgeschossenen Filius auf eine höhere Lehranstalt, die er 21-jährig als Chemietechniker abschloss. Doch Jugendfreunde erzählen, dass er schon während der Schulzeit beschlossen hatte, Priester zu werden. Eine Jugendfreundin erinnerte sich im TV-Interview an den 15.Geburtstag von Bergoglios jüngerer Schwester, an die ausgelassene Stimmung, die Musik Anfang der 50er-Jahre. Aber Jorge blieb verschlossen und ließ sich nur ungern zu einem Tanz überreden, den er ungelenk absolvierte. Ausgelassene Lebensfreude war nicht seine Welt, und sie sollte es auch nie werden.

In jenem Jahr 1958, als er ins Jesuitenkonvent im Viertel Villa Devoto einzog, fing sich der junge Mann eine fürchterliche Lungenentzündung ein. Drei Tage lang schwebte er zwischen Leben und Tod, in seinem Fieberwahn umarmte er seine Mutter Regina und flehte sie an: „Sag mir, was passiert.“ Diese Episode ist niedergeschrieben in „El Jesuita“, das 2010 in kleiner Auflage in einem katholischen Verlag erschien. Die Biografie, seit 2011 vergriffen, berichtet von der Operation, mit der die Ärzte das Leben des jungen Mannes retteten, er verlor dabei den oberen Teil des rechten Lungenflügels. Nach der OP sagte eine Odensschwester Namens Dolores einen Satz, der zum Leitfaden im Leben des Gottesmannes Bergoglio werden sollte: „Du imitierst das Leben von Jesus Christus.“

Bergoglio, dem Tod entronnen, gab sich Mühe, seine Mission zu erfüllen. Er studierte Geisteswissenschaften in Chile, unterrichtete Literatur und Psychologie an katholischen Schulen im argentinischen Santa Fé und in seiner Heimatstadt Buenos Aires. Erst mit 33 wurde er zum Priester geweiht, aber schon mit 37 trat er seine sechsjährige Amtszeit als Provinzial der Jesuiten an. Dem Spätstart folgte also die Blitzkarriere. In dieser Zeit, nach Beginn der Militärdiktatur, legte sich ein Schatten auf das Wirken des Gottesmanns, den er trotz mehrmaliger Dementis niemals wirklich verscheuchen konnte (siehe Text unten).

Bergoglios Intimus Guillermo Marcó erzählt, dass Bergoglio im Alter von 60 Jahren bereits glaubte, seine Funktion im Dienste des Herrn erfüllt zu haben. Er war, seiner theologischen Lehrtätigkeit nachgehend, aus der Metropole in die Provinzstadt Córdoba gezogen, Lichtjahre entfernt vom Stuhl Petri. Doch Bergoglios zweite Geburt vollzog sich 1998, mit der Berufung zum Erzbischof von Buenos Aires.

Offener Konflikt mit der Elite

Zu dieser Zeit schlitterte Argentinien in jene zersetzende Krise, die 2001 im Staatsbankrott endete. Das Land mit der einst größten Mittelklasse südlich von Texas hatte auf einmal 55Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. In diesen Jahren erhob der aufgrund seiner Lungenkrankheit stets leise sprechende Bischof mehrmals deutlich seine Stimme für die Armen. Das sollte er immer öfter wiederholen, nachdem am 25.Mai 2003 Néstor Kirchner das Präsidentenamt antrat.

Bergoglio nannte das Herrscherpaar Néstor und Cristina in seinen Predigten niemals direkt beim Namen, aber er kritisierte die Auswüchse der Korruption und der Habgier im jahrelang boomenden Pampaland. Seine Stadt, die zum Teil wunderschöne, zum Teil atemraubend verpestete Metropole mit der guten Luft im Namen, nannte Bergoglio einen „Fleischwolf“, der die Armen verzehre. Regelmäßig besuchte er Priester in einem der mehr als 1000 Elendsviertel seiner Diözese und unterstützte NGOs, die gegen Arbeitssklaverei und Menschenhandel eintreten.

Sein heftigster Konflikt mit der Regierung Kirchner ging um die Homosexuellen-Ehe, die seit zwei Jahren erlaubt ist. Auch das Thema Abtreibung war ein Streitpunkt.

Die Welt, die am Mittwochabend erstmals die feine Stimme des Jesuiten vom Ende der Welt hören konnte, soll sich nicht täuschen. Der Papst, der auf den Umhang aus Pelz verzichtet, hat einen „Kern aus Stahl“, versichert die katholische Oppositionsabgeordnete Elisa Carrió. Er sei wie der heilige Franz von Assisi, der einst barfuß der römischen Dekadenz entgegentrat. „Ich würde mich nicht wundern, wenn Franziskus in Sandalen zur Amtseinführung käme.“ Falls nicht, hat er ja neue Schuhe.

Auf einen Blick

Jorge Mario Bergoglio, geboren am 17.12. 1936 als eines von fünf Kindern italienischer Einwanderer in Buenos Aires, besuchte zunächst eine technische Schule, die er als Chemietechniker abschloss. Neben dem Tango begeisterte er sich als Fan des Klubs San Lorenzo für Fußball. 1958 trat er in den Jesuitenorden ein, er studierte Philosophie und Theologie.

Nach der Priesterweihe 1969 stieg er rasch zum Jesuiten-Provinzial (1973 – 1979) in Argentinien auf. Während der Militärjunta schloss er zwei Ordensbrüder während ihrer Haft aus, die in Konflikt mit dem Regime geraten waren. Sie hatten Armenviertel besucht, was ihnen Bergoglio untersagt hatte. Danach leitete er die theologische Hochschule von San Miguel, für seine Dissertation studierte er auch in Deutschland. 1998 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Erzbischof von Buenos Aires, 2001 schließlich zum Kardinal.

Beim Konklave 2005 rückte er zum wichtigsten Herausforderer Joseph Ratzingers auf. Beim letzten Wahlgang erzielte er angeblich 40 Stimmen. In Buenos Aires haben ihm sein Engagement und sein bescheidener Lebensstil den Beinamen „Kardinal der Armen“ eingetragen. Er wohnte in einem Apartment statt im Palais, fuhr angeblich lieber im Bus oder mit der Metro als mit der Limousine.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2013)

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