In der Heimat des neuen Papstes wird die Freude überschattet von Debatten über seine Rolle während der Militärdiktatur. Zwei Priester beschuldigten ihn damals, dass er sie an die Schergen des Regimes ausgeliefert habe. Einer der beiden lebt heute in Deutschland.
Berlin. Man fand sie auf einer sumpfigen Wiese, halb nackt und betäubt. Die Schergen der argentinischen Militärdiktatur hatten die beiden Priester dort im Herbst 1976 ausgesetzt, nach ihrer Haft in einem der Foltergefängnisse, in denen tausende Regimegegner für immer verschwanden. Fünf Monate davor hatte sie ein Trupp aus dem Slum entführt, in dem sie als Seelsorger und Sozialarbeiter versucht hatten, eine religiöse Gemeinschaft aufzubauen. Wenige Tage vor der Entführung waren die beiden Jesuiten aus dem Orden verstoßen worden, und man hatte ihnen verboten, Messen zu lesen.
Nach ihrer Freilassung meldeten sie sich beim Ordensgeneral in Rom, mit einer schlimmen Anschuldigung: Ihr Provinzial habe sie fallen lassen, denunziert, ausgeliefert. Sein Name: Jorge Mario Bergoglio. Die Zweifel über seine Rolle während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 liegen wie ein dunkler Schatten über der Biografie von Papst Franziskus.
Wie stichhaltig die Vorwürfe sind, ist bis heute nicht restlos geklärt. Fest steht: Die katholische Kirche in Argentinien schwieg zur Gewalt und arrangierte sich. Nur wenige Priester an der Basis leisteten Widerstand. In der Hierarchie gab es manche, die den Opfern im Stillen halfen, andere, die mit den Gewaltherrschern kollaborierten. Auf welcher Seite stand Bergoglio?
Die beiden Priester kann man dazu nicht (mehr) befragen. Orlando Yorio starb im Jahr 2000. Franz Jalics wanderte nach Deutschland aus. In Oberfranken gründete er ein Zentrum für komtemplative Exerzitien. Zurzeit weilt er in seiner Heimat Ungarn und ist nicht zu sprechen.
„Pater Jalics ist im Reinen“
Nur so viel verrät ein Sprecher der deutschen Jesuiten der „Presse“: „Pater Jalics hat sich vor einigen Jahren mit Kardinal Bergoglio ausgesprochen“, er sei mit der Angelegenheit von damals „im Reinen“. Schon 2005, als just zum Zeitpunkt des Konklaves ein Menschenrechtsanwalt Anzeige gegen Bergoglio erstattete, enthielt sich Jalics jeden Kommentars: „Ich will diese Dinge der Vergangenheit nicht mehr aufwühlen. Ich will schweigen.“ Zehn Jahre zuvor hatte er in seinem Buch „Meditationsübungen“ nicht geschwiegen: „Viele von der extremen Rechten“ hätten die Präsenz in den Slums „als Unterstützung der Guerilla“ gesehen und Priester „als Terroristen denunziert“. Er habe Bergoglio erklärt, „dass er mit unseren Leben spielt“. Dieser „versprach, den Militärs zu erklären, dass wir keine Terroristen sind“. Später aber habe Jalics durch 30 Dokumente herausgefunden, dass sein Vorgesetzter ihn „im Gegenteil falsch beschuldigt“ habe.
In seiner Biografie aus dem Jahr 2010 stellte Bergoglio erstmals seine Version dar: Die Pläne der Priester hätten den jesuitischen Regeln widersprochen, sie hätten von selbst den Orden verlassen. Er habe sie vor einem drohenden Schlag der Militärs gewarnt und ihnen Schutz im Ordenshaus angeboten. Sie aber wollten im Slum bleiben. Sobald er von ihrer Entführung erfuhr, habe er sich bemüht, sie freizukriegen. Die Priester sahen es anders: Dass man sie freiließ, hätten sie nur den Interventionen des Vatikans und des Menschenrechtsaktivisten Emilio Mignone zu verdanken.
Ein anderer Aktivist, der sogar den Friedensnobelpreis erhalten hat, schlug sich gestern in die Bresche des neuen Papstes: Für Adolfo Pérez Esquivel hatte er „keine Verbindungen zur Diktatur“. Er habe getan, was möglich war: „Ich weiß persönlich, dass viele Bischöfe um die Freilassung von Gefangenen und Priestern baten“ – und scheiterten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2013)